Die dritte Kritik aus der Perspektive eines Gesamtwerkzusammenhanges
Die dritte Kritik mit ihrer Bearbeitung des Zweckbegriffs steht, wenn man das gesamte kantische Druckwerk als eine einzige stringente Argumentation auffasst, im Schnittpunkt mehrerer Argumentationszüge.[1] Sie erarbeitet Differenzierungen des Zweckbegriffes, legt der Synthesis das Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit zu Grunde, repetiert die Bedeutung des Systembegriffs für die Wissenschaftslehre, versöhnt Mechanismus und Teleologie für die Prinzipien der Naturwissenschaften, betont die Relevanz von Wahrnehmung und Empfindung für die Evidenz von Erkenntnis und Erfahrung, integriert die Analyse des Geschmacks in die metaphysische Erkenntnistheorie, liefert die Differenzierung in reflektierende und bestimmende Urteilskraft sowie eine spezifische Hermeneutik und expliziert die Theorie des freien Spiels von Vermögen.
Zudem werden zwei opponierende Kunsttheorien ineinander geschoben und Fragen zur Engführung von Schönheit und Sittlichkeit diskutiert. Die Erhabenheit wird wieder aufgenommen[2] und formal neu bestimmt. Die Diskussion des Begriffs des Endzweckes als höchstes Gut wird fortgeführt, die Physikotheologie ausführlicher und methodologischer als in Himmelstheorie und Beweisgrund präsentiert und abgewehrt, hypothetisch, in der Methodenlehre der CU, zu Gunsten der Ethikotheologie. Mit Bezug auf das Urwesen wird die Darstellbarkeit des Undarstellbaren[3] problematisiert und damit Grenzen der Darstellungsmöglichkeit aufgezeigt.
Darum zeichnet sich CU durch eine komplexe Komposition und eine große Breite an Referenzen und Fragestellungen aus. Sie ist Bestandteil aller Bögen, die die Gedankenführung zwischen frühen Schriften, besonders Himmelstheorie und Beobachtungen, der Werkmitte sowie Opus postumum ausmacht. CU legt den Grund für das das letzte Werkdrittel prägende Thema der Anthropologie, etwa zu den Anlagen, die den Menschen als Menschen ausmachen, und zu denen als Teil der Vernunft besonders die Urteilskraft zählt. Stilistisch ist CU eine der lebhaftesten Schriften im Werk, denn Kant bindet viele Anekdoten, Witze und Beispiele ein.
Diese dritte Kritik müsste daher viel umfassender und – meines Erachtens – im Sinne eines Dreh- und Angelpunktes des Systems der kantischen Metaphysik analysiert werden. Die allenthalben übliche Fokussierung der Kant-Forschung auf die erste Kritik – eigentlich nur: auf die transzendentale Analytik der ersten Kritik – sollte man überdenken. Kants dritte Kritik ist ein Beitrag zur Logik und Wissenschaftslehre. Die Ästhetik als Theorie des durch Geschmack beurteibaren Schönen wird bei Kant in das Ganze der mit Baumgarten, so könnte man sagen, ‚gnoseologisch‘ erweiterten Logik integriert. Kant prüft Bedingungen für epagogisches Schlussfolgern, das ausgehend vom Besonderen zu allgemeinen, wissenschaftlichen Sätzen zu gelangen strebt, etwa bei induktiven oder bei Analogieschlüssen. Zu diesem Zweck werden die Anteile bei der Gewinnung von Erkenntnis, die der Anschauung, Wahrnehmung und Empfindung zugeordnet sind, in den Zusammenhang zum Schönen und weiterhin, zusammen mit den Analysen über Lust und Unlust, in den Zusammenhang der Zweckmäßigkeit gestellt.
Die nicht theoretisch und nicht gesetzmäßig bestimmbare Leistung der Verbindung von Allgemeinem und Besonderem ist operativ Sache der Urteilskraft und Element der Synthesis. Die Regeln für die Beurteilung des Schönen seien nicht „unter Vernunftprincipien zu bringen“.[4] „Es kann keine objective Geschmacksregel, welche durch Begrife bestimmte, was schön sey, geben. Denn alles Urtheil aus dieser Quelle ist ästhetisch; d. i. das Gefühl des Subjects, und kein Begrif eines Objects ist sein Bestimmungsgrund“.[5]
Wenn Einzelnes unter einen gegebenen Begriff, also etwas Allgemeines, subsumiert wird, entspricht dies dem Absteigen im Durchlaufen der Reihen der Erkenntnisordnung.[6] Wenn man ausgehend vom Einzelnen ein Allgemeines sucht, entspricht das dem Aufsteigen. Beides ist, z. B. eingeteilt in ars judicandi und ars inveniendi, in der Tradition immer schon Teil der Logik. Kant differenziert die nötigen Operationen diesbezüglich in Verfahren bestimmender und reflektierender Urteilskraft.[7]
Die dritte Kritik analysiert die Bedingungen dieses Aufsteigens und somit die schematisierenden Verfahren der Synthesis. Das Geschmacksurteil und der Zweckbegriff werden sowohl im Fall unwillkürlichen Erfahrens (dazu der erste Teil der CU) als auch im Fall beabsichtigter, zweckgerichteter oder Erkenntnis generierender Handlungen (dazu der zweite Teil der CU) bei Kant auf die Ästhetik als Teildisziplin der Logik bezogen.[8] Bei Baumgarten ist vollkommenes Denken schönes Denken, cogitatio pulchre. Dieses ist auf den ordo der Verhältnisse bezogen, in denen die Erkenntnisgegenstände zueinander stehen.[9]
Daher nutzt auch Kant „schön“ als logischen Begriff und fusioniert zugleich die beiden seinerzeit vorliegenden theoretischen Ansätze zu Schönheit und Geschmack. Schönheit ist bis zu den Sensualisten des 17. Jahrhunderts kein subjektives Konzept, sondern Ausdruck für die sich durch Proportionalität und Gestaltungsregeln auszeichnende, mathematisch beschreibbare Verhältnismäßigkeit in der Natur. Rationalistische Theoretiker, wie Wolff, Baumgarten, Sulzer oder Eberhard, koppeln Schönheit als Wohlproportioniertheit an den Begriff der Vollkommenheit. Kant führt diese Linie mit der sensualistischen Linie zusammen, zu der man Crousaz, André oder Hutcheson zählen kann.[10]
In den frühen Schriften führt Kant die Begriffe ein, etwa den Begriff schön in Himmelstheorie und Beweisgrund, indem er fragt: „Ist dieses nicht alles schön, sind es nicht sichtbare Zwecke, die durch klüglich angewandte Mittel bewirkt worden?“.[11] In den frühen Schriften wird Schönheit konnotiert mit Ordnung, Vollkommenheit, Richtigkeit, Anständigkeit, Wohlgereimtheit, Nützlichkeit, Harmonie, Regelmäßigkeit und Würde.
Die Übereinstimmung des Mannigfaltigen, gefasst in eine Regel, ist auch bei Wolff Vollkommenheit.[12] Wolff bezieht bereits die Rolle der Empfindung ein, indem er die Vervollkommnung der Erkenntnis an Lust knüpft.[13] Schönheit sei Vollkommenheit dessen, das in uns Lust, verstanden als Zustimmung zu einer Übereinstimmungsrelation, hervorruft.[14]
Mit Anklängen an die Rousseausche Hinwendung zur Natur und im Sinne seines Freiheits- und Geniebegriffs ordnet Kant den rationalistischen Schönheitsbegriff nun der nur anhängenden Schönheit zu, die einen Begriff von dem, „was der Gegenstand seyn soll“, also von seinem Zweck voraussetze, und stellt ihn in den Gegensatz zur freien Schönheit.[15] Ein konventioneller, kulturell motivierter und so an äußere Zwecke gebundener Umgang mit Schönheit wird ebenso kritisiert wie die Begründung der Schönheit aus dem Begriff der Vollkommenheit.[16]
Die mathematisch-bestimmende Vorstellung von Schönheit geht, etwa bei Leibniz, einher mit einer Ablehnung der kognitiven Relevanz von Empfindungen und der Behauptung, sinnliche Vorstellungen seien verworren, und nur begriffliche seien klar.[17] Kants ablehnende Haltung zu dieser Theorie zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Druckwerk.
Kant betont nun vielmehr mit Hume und Shaftesbury die Bedeutung der Empfindung für Urteile über das Schöne – dessen Begriff Kant gleichwohl in seiner angestammten rationalistischen Bedeutung für Harmonie, Ordnung, Zweckmäßigkeit belässst. Für Hume ist Schönheit keine Eigenschaft der Dinge. „Beauty is not a quality of the circle“.[18] Das Prädikat schön sei nicht logisch im Subjektbegriff enthalten, sondern ergebe sich aus der Berücksichtigung der jeweiligen Empfindung im Subjekt, wie Hume und Rousseau unterstreichen.[19] Rousseau hatte gegen das cartesische cogito die Unabhängigkeit der Empfindungen und ihren unmittelbaren Zugriff auf Wahrheit betont. „Ich existiere und habe Sinne, durch die ich affiziert werde. Das ist die erste Wahrheit, die mir einleuchtet“.[20]
Thomas Reid hatte nun gegen Hume festgestellt, dass Schönheit sehr wohl eine Eigenschaft des Kreises sei. „Beauty is a quality of the circle, not demonstrable by mathematical reasoning, but immediately perceived by a good taste”.[21] Denn das ästhetische Urteil sei kein Privaturteil, sondern verdanke sich einem Sinn – dem Geschmack – für das Ganze in Relation zu den Teilen. Mit dieser Bestimmung, die auch Diderot teilt,[22] wird Schönheit als Relation beurteilbar. Karl Philipp Moritz definiert: „darinn besteht […] das Wesen des Schönen, daß ein Theil immer durch den andern und das Ganze durch sich selber, redend und bedeutend wird – daß es sich selbst erklärt – sich durch sich selbst beschreibt – und also außer dem bloß andeutenden Fingerzeige auf den Inhalt, keiner weiteren Erklärung und Beschreibung mehr bedarf. So bald ein schönes Kunstwerk, außer diesem Fingerzeige, noch einer besondern Erklärung bedürfte, wäre es ja eben deswegen schon unvollkommen: denn das erste Erforderniß des Schönen ist ja eben seine Klarheit.“[23]
Vollkommenheit ist also auf eine Ganzheit bezogen; Schönheit aber eben auch. Das rationalistisch als kalkulierbar verstandene Vollkommene weicht im 18. Jahrhundert zunehmend dem „Je ne sais quoi“ des Schönen. Der Geschmack wird, auch etwa bei Montesquieu, als Vermögen verstanden, das Ganze des Schönen zu erfassen.[24] Auf der Grundlage der Mitteilbarkeit des Geschmacksurteils, die sich nicht auf Begriffe, sondern auf ein Reflexionsgefühl der Lust stütze, das in allen Menschen angelegt sei, sowie mit der Neubestimmung des sensus communis als Repräsentanten der „Menschenvernunft“[25] wird der Geschmack bei Kant als eine rationale, aber nicht begriffliche Kompetenz ausgezeichnet. Direkt mit dem Geschmack verbindet sich der Geniebegriff.
Nun ist es bei Kant entscheidend, dass alle in CU exponierten Begriffe wie Schönheit, Geschmack, Gefühl der Lust und Unlust, Empfindung oder Begehrungsvermögen nicht materialiter auf Gegenstände, z. B. Kunstwerke zu beziehen sind, von denen ja durchaus gehandelt wird, sondern auf das in CU als Gegenstandsbereich des Ästhetischen markierte Subjektive. Schon in Prolegomena wird die Theorie der Ursächlichkeit der Gegenstandsbeschaffenheit für die Erkenntnis dieses Gegenstandes abgewehrt; CU ergänzt um die im kritischen Sinne reflexiv auf das Subjekt bezogene Erörterung seines Ichs und seiner Denkfunktionen. Deshalb handelt der erste Teil der Schrift auch nicht über die schönen Künste; intendiert ist hier vielmehr eine formale Transformation und Weiterentwicklung der genannten Begriffe für Logik und Metaphysik.
Der auf das System und die Argumentation des Werkaufbaus bezogene Fokus dieser Schrift ist letztlich die Ausgestaltung der in CrV transzendental-formal grundgelegten und in den ethischen Schriften in Bezug auf die Fähigkeit der Selbstbestimmung dargelegten Apperzeption. Deshalb sind die scheinbar psychologisierenden Charakterisierungen der ‚subjektiven‘ Seite der Erkenntnisgewinnung in CU Teil einer methodenreflexiven Strategie, die die Fragen nach der ‚objektiven‘ Gültigkeit von Wissen in der Werkmitte aufnimmt und einige der dort aufgebrachten Behauptungen einer rückblickenden Prüfung unterzieht. Aus den zwischenzeitlich im Verlauf der Argumentation gewonnenen Möglichkeiten der Beurteilung, etwa aus der fortgeschrittenen Grenzziehung zwischen der Kompetenz der Mathematik und derjenigen der Philosophie, wie sie Prolegomena und Anfangsgründe leisten, wird nun die besser (als noch in der Werkmitte) informierte und daher besser aufgestellte Untersuchung der subjektiven Aspekte der Gewinnung von Erkenntnis in Angriff genommen. Diese sind, wie dann Fortschritte, ApH und Opus postumum entfalten, die eigentlichen apriorischen Bedingungen der Erkenntnis, des Wissens sowie der Selbsterkenntnis. Implizit wird das schon in CU durchgängig deutlich.
So wäre auch das Genie oder der schöpferische Geist, esprit créateur[26] oder bel esprit, bei Kant in einem sehr viel weiteren als nur auf die Kunst bezogenen Sinne zu verstehen. Gleichwohl beantwortet Kant in bewährter Manier die zeitgenössische Diskussion um die Freiheit oder Regelhaftigkeit der Kunst, die sich an den Geniebegriff knüpft, indem er Positionen fusioniert.
Für Moritz ist ein Kunstwerk schön, wenn es keinem äußeren Zweck diene.[27] Ein solcher äußerer Zweck des Kunstschaffens war die Naturnachahmung, die aristotelisch als Grundprinzip der Kunst galt.[28] Mit Addison, Bacon und besonders Dubos, der als erster das Genie als angeborene Fähigkeit definiert, bestimmte Dinge zu schaffen, die andere nicht schaffen könnten – was Sulzer und Baumgarten übernehmen – und der die Rührung des Herzens in den Vordergrund stellt,[29] wird zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Rolle der Einbildungskraft, Phantasie und Imagination betont. Dubos erkennt die Möglichkeit an, „ohne Kenntnis der Regeln ein vortreffliches Kunstwerk zu schaffen“. Das Genie sei nicht irrational und unerklärbar, sondern „eine allgemein begreifliche und erklärbare Naturerscheinung“.[30] Auch Young hebt die Originalität des Genies und seine schöpferische Freiheit hervor,[31] ebenso Bodmer und Breitinger: „Große Geister, die aus Einsicht ihre Freyheit kennen, lassen sich durch keine Regeln in engere Schranken zwingen als ihnen die Vernunft und Natur sezen“.[32] Baumgarten und Gottsched klären salomonisch: ein guter Kopf ohne Regeln und Regeln ohne einen natürlich guten Kopf können jeweils einzeln nichts, zusammen aber große Wirkung zeigen.[33] Beide betonen das harmonische Verhältnis im Zusammenwirken der geistigen Vermögen untereinander.[34]
Kant hebt die Bedeutung des Genies als Naturgabe hervor. Sein Wirken sei nicht erlernbar,[35] weswegen die Werke des Genies analog zu den Werken der Natur aufzufassen seien. Wie bei Lessing bekommt das Genie bei Kant seine Regeln nicht von außen. Sein Schaffen sei die Regel selbst.
Als Ergebnis des Deduktionsversuchs zum Urteil über das Schöne ergibt sich bei Kant, dass die Allgemeingültigkeit dieses Urteils in der Befähigung begründet ist, die allen Menschen gleicher Maßen zukommt, nämlich Wohlgestalt zu empfinden. Damit ist wie bei Batteux durch die menschliche Anlage belegt, dass eine schöpferische Tat nicht gegen, sondern im Sinne der Natur erfolgt; bei Batteux ist ihre Nachahmung ist nicht Ziel des Schaffens, aber unweigerliches Resultat.[36]
Wie etwa Batteux oder Gellert, der mit Pope die Vorgängigkeit der Regeln in der Kunst betont, ohne die auch ein Genie nicht auskäme,[37] gründet Kant seine Kritik als Beurteilungs-Kunst, für die theoretische und auch für die praktische Philosophie, auf dem Konzept der Regel, die das Formale der nomologischen Grundlage, das Konkrete der Ausführung und Synthesis sowie alle Fragen zum Zusammenhang von Bedingung und Bedingtem umfasst.
Die Regel resp. das Gesetz ist von zentraler Bedeutung in Kants Logik. Das Geschmacksurteil kann über die Richtigkeit von Regeln und Gesetzen befinden.[38] Denn für die Geltungsprüfung objektiver Urteile müssen auch Wahrheitsbedingungen in Betracht gezogen werden, die Daten der Anschauung, Konkreta der Erfahrung oder Verfahren der Darstellung generell betreffen. Das Beurteilungs-Verfahren des Geschmacks kann eben deshalb nicht rein theoretisch grundgelegt werden, daher ist es auch nicht Gegenstand der Untersuchung in CrV.[39]
Damit, dass er alle mit Regeln und Gesetzen verbundenen Relationen auf Zweckgesetzlichkeit zurückführt, formalisiert Kant im Sinne Popes die Methodologie der Regel sowohl für gegebene als auch für begriffliche Verhältnisse. Pope: "Those rules of old discover'd, not devised/ Are Nature still, but Nature methodized".[40] Pope befindet, die meisten Menschen seien mit einem gewissen Geschmack geboren, aber durch falsche Erziehung verdorben.[41]
Eine Veranschaulichung von Begriffen verfährt, so Kant, exemplarisch, schematisch oder symbolisch.[42] Das funktioniert durch Anwendung des Begriffes „auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung“ und dann der bloßen „Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen ganz andern Gegenstand, von dem der erstere nur das Symbol ist“.[43] In Ergänzung zum Schematisierungsverfahren der CrV wird in CU das gesamte Tätigkeitsfeld der Vernunft, also auch dessen poietische und reflexive Anteile, untersucht.
Geschmack, Gefühl, Empfindung und Reflexion sind konstitutiv für die Gewinnung von Erkenntnissen.[44] Daher ist die Ästhetik auch in Kants Vorlesungen der Logik zugeordnet.[45] Metaphysik ist nicht nur auf gründliche, unterrichtende, sondern auch auf unterhaltende, also schöne Erkenntnisse angewiesen.[46] Wenn Merkmale die Erkenntnisgründe zu Begriffen sind, so kann auch ein einzelnes Merkmal auf entscheidende Weise helfen, Erkenntnis hervor zu bringen. So bezieht Kant mit Baumgarten die Erkenntnistheorie auf einen logischen und einen ästhetischen Part.[47] „Die Erkentniß ist die Uebereinstimmung einer Vorstellung mit dem Gegenstande. Alle Erkentniß ist entweder intuitus oder conceptus“.[48] „Alles, was nicht in der Beziehung unsers Vorstellungsvermögens aufs Objekt, sondern aufs Subjekt, aufs vorstellende Vermögen beruht, ist ästhetisch“.[49]
Logische „Deutlichkeit wird bewirkt durch wenig Merkmale“; „die ästhetische durch viele Merkmale. […] Zur logischen Deutlichkeit wird Abstraktion erfordert. Zur ästhetischen gehört ein Schwarm von Nebenvorstellungen“.[50] „Die Definition ist die höchste logische Vollkommenheit des Begriffs“.[51] In der Philosophie müsse man „erst abstracte einen Satz durchdenken und hernach ihn sinnlich machen. So kann man allgemeine Maximen in Sentiments verwandeln, wenn man das was jene in abstracto sagen, auf einen einzelnen Fall anwendet“.[52]
Kant unterscheidet drei Grade des Fürwahrhaltens: Meinen, Glauben, Wissen.[53] Auf dem Weg zur Vervollkommnung der Erkenntnis beginne man mit vorläufigen Urteilen, denen irgendeine dieser Abstufungen der Gewissheit zuzusprechen ist;[54] in diesen vorläufigen Urteilen verfährt man wie auch etwa bei der Anwendung von Hypothesen zweckgesetzlich, da durch Vergleiche Beurteilungen über das Passen von Begriffen, Merkmalen, Empfindungen erfolgen müssen. Die dritte Kritik ergänzt Logik und Methode damit, dass das Vergleichen, Abstrahieren, Bestimmen, Induzieren und in Analogie Setzen als auf Zweckgesetzlichkeit bezogene Operationen bestimmt werden.
Verfahren der Beurteilung von Schönheit und Geschmack weisen willkürliche und unwillkürliche Aspekte auf. Mit der Unterscheidung zwischen subjektiver Zweckmäßigkeit und objektiver, ‚realer‘ Zweckmäßigkeit wird CU in Ästhetik und Teleologie eingeteilt.[55] Für die Teleologie sei eine absichtsvoll verfahrende Urteilskraft nötig, die eine mögliche reale Zweckmäßigkeit der Natur mittels Verstand und Vernunft beurteile. Zentral für die entsprechende Theoriebildung sei die Bildung von Hypothesen. Diese seien, so Kant, Erkenntnisse, die darum für wahr gehalten werden, weil daraus etwas abgeleitet werden kann; und zwar schließe man hier eigentlich von der Folge auf den Grund.[56] In der Naturwissenschaft sei dies unentbehrlich,[57] insbesondere mit Blick auf die angestrebte Systematizität einer Theorie.
Wie vorhandenes Wissen und Einzeldaten der Beobachtung zusammenzubringen und sinnvoll aufeinander zu beziehen sind und warum man überhaupt annehmen dürfe, dass Einzeldaten mit Naturgesetzen zusammen passen und sich aus diesen heraus begründen lassen, fragen schon Himmelstheorie und CrV.[58] CU verknüpft dazu das Prinzip der Zweckmäßigkeit methodologisch mit Induktion und Analogie und der genannten Hypothesenfunktion regulativer Prinzipien. Systemeinheit ist bei Kant Zweckeinheit.[59] Die beiden Schlüsse der Urtheilskraft, Analogie und Induktion, seien, so Kant in Logik, "nützlich und unentbehrlich zum Behuf der Erweiterung unsers Erfahrungserkenntnisses. Da sie aber nur empirische Gewißheit geben: so müssen wir uns ihrer mit Behutsamkeit und Vorsicht bedienen".[60]
Die dritte Kritik ist im Gesamtvorhaben Kants auch eine Meta-Methodenreflexion.[61] In vielen Punkten schließt sie direkt an die Methodenlehre der CrV an.[62] Auch CU ist im Einzelnen aufgebaut nach den Gliederungen Analytik–Dialektik und Elementarlehre–Methodenlehre. Sie besteht, ihre Einleitungen eingeschlossen, aus vier Teilen,[63] die das Konzept der Zweckmäßigkeit logisch, ästhesiologisch, teleologisch und ethikotheologisch untersuchen: Diese Teile sind die Einleitung resp. die Erste Einleitung, die Critik der ästhetischen Urtheilskraft, die Critik der teleologischen Urtheilskraft sowie die Methodenlehre der teleologischen Urtheilskraft.
Sie entsprechen der Abfolge der Metaphysica generalis mit den Abschnitten Ontologia, Psychologia rationalis, Cosmologia rationalis und Theologia rationalis, wobei diese Folge, den ersten Abschnitt ausgenommen, entsprechend der in CrV präsentierten Selbstkritik des Vernunftvermögens transzendentalphilosophisch umgeprägt wird zur Folge: SEELE – WELT – GOTT. Die Seele und die ihr zugeordnete ästhesiologische Untersuchung des Zwecks wird in CU an die vorderste Stelle gerückt. Es folgt die Welt und Fragen des möglichen kosmologischen Wissens sowie die Erörterung der Möglichkeitsbedingungen des Wissens über Gott, dessen mögliche Funktion als Endzweck des menschlichen Handelns und Wissens in CU hypothetisch behauptet wird. Die Ontologie ist stets der erste Abschnitt einer Metaphysica generalis; sie thematisiert die Grundbegriffe. In CU entsprechen ihr die Einleitungen.
Im kosmologischen Teil bezieht sich CU auf die Frage nach der Berechtigung teleologischer Prinzipien in den Naturwissenschaften. Leibniz hatte, in den Worten Hans-Jürgen Engfers, das „teleologische Denken“ verteidigt, „es erneut zur Grundlage eines umfassenden Systementwurfs“ und es „mit dem kausalen Denken der neuzeitlichen Naturwissenschaften kompatibel“ gemacht.[64] Seine naturwissenschaftlichen Prinzipien sind teleologische.[65] Wolff aber lehnt strikt ab, den Kausal- und den Zwecknexus zu konfundieren: teleologisch dürfe man etwas nur erklären, wenn einwandfrei nachweisbar ist, dass „das Geschehen von einer vorstellenden Instanz bewußt geplant und gewollt ist“.[66] Für Geltungsfragen kausaler und teleologischer Theorien habe auch, so Engfer, schon Wolff eine Wende zum Subjekt vorgenommen; kausales und teleologisches Denken sind bei ihm „zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen derselben Dinge in der Welt unter verschiedenen Gesichtspunkten“.[67]
Kant diskutiert physikotheologisches Denken als problematisch für die wissenschaftliche Systematizität von Theorien, weil Naturzwecke nur Aggregate bildeten und kein System darstellten. Dies müsste man als solches von einem Endzweck ableiten; solchen fraglichen Endzweck im Sinne einer Steuerungseinheit diskutiert CU in mehreren Hinsichten. Die Vorstellung einer höchsten gesetzgebenden Vernunft als oberster Bedingung, aus der jegliche Zweck- und Systemeinheit ableitbar wäre, ist bei Kant nur als „ein uns unbekanntes Substratum der systematischen Einheit, Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welteinrichtung“ denkbar.[68] Könnte die Natur eine solche Steuerungsinstanz für Naturprozesse sein? Dazu klärt CU, finale Erklärungen könnten nur regulative Urteile subjektiver Geltung sein. Wir dürfen uns einen Zusammenhang nur so denken, als ob er zweckmäßig organisiert sei.
Kant verwendet mit Aristoteles und gegen Leibniz den Begriff „Technik der Natur“ statt „Kunst der Natur“. Für Produkte eines Herstellungsverfahrens kann nach der herstellenden Instanz gefragt werden, und für die Natur käme hier nur Gott in Frage. Dies wird aber in CU nicht vorausgesetzt, sondern geprüft. Werkschließend wird nicht Gott, sondern das aufgeklärte, denkende Subjekt als der Endzweck dieses Subjekts selbst ausgewiesen.[69]
Die Apperzeption als Selbstbewusstsein und Bewusstsein der durchgängigen Identität des Selbst sei nicht deskriptiv, sondern transzendental zu begründen; aber sie ist im Sinne der Freiheit dieses Selbst, die nicht nur Grundlage, sondern auch Strebeziel menschlichen Lebens ist, nicht ohne den Zweckbegriff und nicht ohne das Beurteilungsvermögen des Geschmacks, der das Ganze der menschlichen Existenz zu erfassen vermag, explizierbar. Im Geschmacksbegriff ist zudem der Bedeutungsaspekt des Schmeckens im „sapere“ aufgenommen.[70]
Das sowohl in der Ethik als auch in theoretischen Wissenschaften für Rechtfertigungen nötige schöpferische Denken als schöpferisches Tun ist auf das Genie im Sinne einer idealen Fähigkeit, die potentiell jeder Mensch hat, bezogen, und es ist kein regelloses Handeln, sondern im Falle des Gelingens ein Regeln allererst schaffendes.
Der moralische Schematismus erfordert es, ebenso wie der auf Erkenntnis bezogene, den Einzelfall und die Regel in ein Verhältnis zu setzen.[71] Zweck-Mittel-Relationen des Handelns sind zu prüfen, und das Motiv der Handlung darf nicht primär aus einem Zweck heraus begründet werden, der nur ihre Folge als ein Teilaspekt des Ganzen ist. Menschliche Glückseligkeit z. B. kann nicht Zweck einer Handlung aus reiner praktischer Vernunft sein. Eine Pflicht etwa muss um ihrer selbst willen getan werden, sonst wäre sie nur Mittel. Eine Analogie zwischen der Situation des Handelns und dem Naturgesetz als „Typus des Sittengesetzes“[72] kann daher zur Klärung der Frage beitragen, was jemand in einer konkreten Situation formal wie zu bestimmen habe. Formal bestimmt werden hieße entsprechend, als Zweck, Mittel, Grund, Folge oder sogar Endzweck bestimmt werden zu können.
Im Hinblick auf die dazu nötigen Grundbegriffe und logischen Kenntnisse vermag es die dritte Kritik, die zuvor aus rhetorischen Gründen und zu methodischen und strategischen Zwecken strikt voneinander getrennten Bereiche der Naturkausalität und der Kausalität der Freiheit in der Tat gerechtfertigt zu verbinden.
[1] In Einzelheiten leicht veränderter Auszug des neunten Kapitels aus: Kants Gesamtwerk in neuer Perspektive. Das „#“ in den Zitatnachweisen kennzeichnet die Zählung von Absätzen innerhalb längerer Textpassagen anderer Autoren.
[2] Zuvor wird über Erhabenheit, präterminologisch, vor allem in der Schrift Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1762 der Akademie vorgelegt), verhandelt.
[3] Vgl. Petra Bahr: Darstellung des Undarstellbaren: religionstheoretische Studien zum Darstellungsbegriff bei A. G. Baumgarten und I. Kant, Tübingen: Mohr Siebeck 2003.
[4] Critik der reinen Vernunft (CrV) A.21.B.35, Anm.
[5] Critik der Urtheilskraft (CU), § 17 (B.53).
[6] Siehe dazu Kants Gesamtwerk in neuer Perspektive, Kap. 7.B.
[7] Die Urteilskraft generell ist das Vermögen, „das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken“ (CU B.XXV). „Ist das Allgemeine (die Regel, das Princip, das Gesetz) gegeben, so ist die Urtheilskraft, welche das Besondere darunter subsumirt […] bestimmend. Ist aber nur das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine finden soll, so ist die Urtheilskraft bloß reflectierend“ (CU B.XXVI). Bestimmende Urteile werden mit objektiver, wissenschaftlich bewiesener Zweckmäßigkeit; reflektierende Urteile mit subjektiver Zweckmäßigkeit konnotiert.
[8] Vgl. Steffen W. Groß: Cognitio sensitiva. Ein Versuch über die Ästhetik als Lehre von der Erkenntnis des Menschen. Würzburg, Königshausen & Neumann 2011, 29: „Die heute allgemein etablierte Definition von Ästhetik als philosophischer Disziplin hat nicht mehr viel mit der Weite des Ansatzes von Baumgarten und dem eigentlichen Anliegen seiner Aesthetica gemein“.
[9] Vgl. dazu Kants Gesamtwerk in neuer Perspektive, Kapitel 7.B.
[10] Vgl. Sandra Richter: "Unsichere Schönheit? Die Geburt der Ästhetik aus der Kritik des Skeptizismus“, in: Carlos Spoerhase u.a. (Hg.): Unsicheres Wissen. Skeptizismus und Wahrscheinlichkeit 1550-1850, Berlin 2009, 159-177, besonders: 172 ff. zum "Lektürekanon der Ästhetik" (a.a.O., 174).
[11] Himmelstheorie, 224.
[12] Christian Wolff, Deutsche Metaphysik, § 152.
[13] „Voluptas est intuitus, seu cognitio intuitiva perfectionis cujuscunque“ (Psychologia empirica, § 511).
[14] Wolff, Psychologia empirica, § 544 f.; ähnlich Alexander Gottlieb Baumgarten, Metaphysica, § 662.
[15] CU, § 16.
[16] CU, § 15: „eine objective innere Zweckmäßigkeit, d. i. Vollkommenheit, kommt dem Prädicate der Schönheit schon näher und ist daher auch von namhaften Philosophen, doch mit dem Beysatze, wenn sie verworren gedacht wird, für einerley mit der Schönheit gehalten worden“ (B.44 f.)
[17] Nach Leibniz gibt es in uns stets „eine unendliche Menge von Wahrnehmungen, jedoch ohne Bewusstsein und Reflexion ihrer Veränderungen", die uns in einen unterbewussten Zusammenhang zum Weltganzen stellen. Dieser dunkel vorhandene Untergrund des Denkens bilde ein Meer, über das das Schiff unserer Gedanken hinsteuert (Leibniz, Nouveaux Essais, Vorrede). – Vgl. Robert Sommer: Grundzüge einer Geschichte der deutschen Psychologie und Aesthetik von Wolff-Baumgarten bis Kant-Schiller, Würzburg 1892, 168 ff.
[18] Vgl. David Hume, Essays and treatises on several subjects, Bd. 1: Essays moral, political and literary, Edinburgh 1742, Essay XVIII (The Sceptic), #17: “Euclid has fully explained every quality of the circle, but has not, in any proposition, said a word of its beauty. The reason is evident: Beauty is not a quality of the circle. It lies not in any part of the line, whose parts are all equally distant from a common centre. It is only the effect which that figure produces upon a mind, whose peculiar fabric or structure renders it susceptible of such sentiments”.
[19] Hume: “No sentiment represents what is really in the object”; “Beauty is no quality in things themselves: It exists merely in the mind which contemplates them” (Of the standard of taste, § 7). “Beauty and deformity […] are not qualities in objects, but belong entirely to the sentiment“ (a.a.O., § 15). – Jean-Jacques Rousseau: „Welchen Namen man dieser Kraft meines Geistes auch geben will, der meine Empfindungen zusammenstellt und vergleicht […], sie ist in mir und nicht den Dingen; nur ich betätige sie, obgleich ich sie nur bei Gelegenheit des Sinneneindrucks betätige, den die Gegenstände auf mich machen. Ohne Herr darüber zu sein, ob ich empfinde oder nicht, bin ich Herr, mehr oder weniger zu prüfen, was ich empfinde“ (Emile, Buch IV, Profession de foi du vicaire savoyard, # 31, in der Übersetzung von Ludwig Schmidt, Paderborn Schöningh 1978).
[20] Emile, Buch IV, Profession du vicaire, # 20. „Habe ich ein eigenes Gefühl meiner Existenz oder fühle ich sie nur durch meine Empfindungen? Das ist mein erster Zweifel, den ich noch nicht auflösen kann […]. Meine Empfindungen ereignen sich in mir, da sie ja mich meine Existenz fühlen lassen; aber ihre Ursache ist mir fremd, da es nicht von mir abhängt, sie hervorzubringen oder zu vernichten. Ich sehe daher klar, daß meine Empfindung, die in mir ist, und ihre Ursache oder ihr Gegenstand, der außer mir ist, nicht dasselbe sind. Also existiere nicht nur ich, sondern auch andere Wesen, nämlich die Gegenstände meiner Empfindungen“ (ebd.).
[21] Reid, An essay on quantity; occasioned by reading a treatise, in which simple and compound ratio's are applied to virtue and merit, zuerst in: Philosophical Transactions 45 (1748), 505-520, #29 vom Ende des Essay zurückgezählt.
[22] Vgl. Denis Diderot, Artikel „beau“ in der Encyclopédie, Bd 2 (1752), 169-181, der der Metaphysik zugeordnet ist (169).
[23] Karl Philipp Moritz, Die Signatur des Schönen. In wie fern Kunstwerke beschrieben werden können?, in: Monats-Schrift der Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften zu Berlin 2. Bd (1788), 159-168; 204-210; 3. Bd (1789), 3-5, Anfang, #19. Daher schadeten Beschreibungen den Kunstwerken, da sie sich nur auf einzelne derer Theile bezögen. „Wenn […] über Kunstwerke etwas Würdiges gesagt werden soll, so muß es keine bloße Beschreibung derselben nach ihren einzelnen Theilen seyn, sondern es muß uns einen nähern Aufschluß über das Ganze und die Nothwendigkeit seiner Theile geben“ (a.a.O., letzter Absatz).
[24] Vgl. Montesquieu, Artikel „gout“ in der Encyclopédie.
[25] CU B.157.
[26] George Friedrich Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, § 40; der schöne Geist erfindet Gedanken als Schöpfer seiner eigenen Creaturen; daher müsse er „ein schöpferisches Vermögen (esprit créateur) besitzen“ (a.a.O., § 218).
[27] Moritz: Über die bildende Nachahmung des Schönen, Braunschweig 1788.
[28] „Die 'Natur' ist für Pope wie für Boileau das Muster, die Quelle und das Kriterium der Kunst“; aber auch Pope gesteht zu, dass „einige Schönheiten von keinen Regeln gelernt werden können“ (Herman Wolf: Versuch einer Geschichte des Geniebegriffs in der deutschen Ästhetik des 18. Jahrhunderts, I. Band: Von Gottsched bis auf Lessing, Heidelberg 1923, 15).
[29] Jean-Baptiste Dubos: Réflexions critiques sur la poësie et sur la peinture, 3 Teile, Paris 1719, Sectio II.
[30] Wolf, a. a. O., 55.
[31] Wolf, a. a. O., 25.
[32] Johann Jakob Bodmer/ Johann Jakob Breitinger: Neue critische Briefe, Zürich 1749, 406.
[33] Vgl. Wolf, a. a. O., 101.
[34] Für den "vollkommenen Poeten" sei "eine gleiche Mischung von Vernunft und Einbildungskraft, von Nachdruck und Lieblichkeit, von Einsicht und Zärtlichkeit; eine allgemeine Beredsamkeit und besondere Tiefsinnigkeit" nötig" (Gottsched, Poesie, 74).
[35] CU, § 46, z. B. B.181.
[36] Charles Batteux: “Le Génie n'a produire les Arts que par l'imitation” (Les beaux arts réduits à un même principe, Paris 1746, I.2: Titel – Einschränkung der schönen Künste auf einen einzigen Grundsatz, übers. v. Joh. Adolf Schlegel, 2 Bde, Leipzig 1770). Schaffe das Genie etwas gegen die Gesetze der Natur, degradiere es diese und damit sich selbst: „Et si le Génie, par caprice, fait de ces parties un assemblage contraire aux loix naturelles; en dégradant la Nature, il se dégrade lui-même“ (a. a. O., 1. Absatz).
[37] Christian Fürchtegott Gellert: Wie weit sich der Nutzen der Regeln in der Beredsamkeit und Poesie erstreckt, eine Rede, bey dem Beschlusse der öffentlichen Rhetorischen Vorlesungen gehalten, in: Sammlung vermischter Schriften, Teil 2, Leipzig 1763, 179-202.
[38] Vgl. CU B.26.
[39] Das Wort „Geschmackslehre“ kommt im Druckwerk Kants nicht vor. – Kant stellt fest: „Die Deutschen sind die einzigen, welche sich jetzt des Worts Ästhetik bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was andre Critik des Geschmacks heißen. Es liegt hier eine verfehlte Hoffnung zum Grunde, die der vortreffliche Analyst Baumgarten faßte, die critische Beurtheilung des Schönen unter Vernunftprincipien zu bringen und die Regeln derselben zur Wissenschaft zu erheben. Allein diese Bemühung ist vergeblich. Denn gedachte Regeln oder Criterien sind ihren vornehmsten Quellen nach bloß empirisch und können also niemals zu bestimmten Gesetzen a priori dienen, wornach sich unser Geschmacksurtheil richten müßte“ (CrV B.35).
[40] Pope, Essay on Criticism, Teil 1. Vgl. auch Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste, 2 Bde, Leipzig 1771/1774, Art. „Regeln“ und Art. „Studium“.
[41] Pope, Essay on Criticism, einleitende Worte: “That a true Taste is as rare to be found as a true Genius. That most men are born with some Taste, but spoiled by false education”.
[42] Vgl. Maximilian Forschner: „Idee und Anschauung in Kants Religionsphilosophie“, in: Klemme, a. a. O., 2009, 143-164.
[43] CU B.256.
[44] „Nicht eine jede Vorstellung ist ein Begrif. Eine Vorstellung durch die Sinne ist z. E. eine Empfindung. Eine Vorstellung durch den Verstand ist eine Erscheinung. Eine Vorstellung durch die Vernunft ist ein Begrif“ (Logik Blomberg, 251: § 249). Vgl. auch Logik Busolt, 653.
[45] Vgl. Metaphysikvorlesung von Schön, 472 f.
[46] „Sollen Erkenntnisse unterrichten, so müssen sie in so fern gründlich sein; sollen sie zugleich unterhalten, so müssen sie auch schön sein“ (Kant, Logik, 37). „Die Metaphysik soll also 1) gründlich aber auch 2) schön seyn […], weil unser Geist nicht nur Verstand; sondern auch Sinnlichkeit hat, und dieser sind die ästhetischen Schönheiten angenehm“ (Metaphysik Herder, 6).
[47] Extensive Deutlichkeit ist ästhetisch (schöner Verstand); intensive Deutlichkeit logisch (tiefer Verstand); „Die Schönheit des Verstandes beruht darauf, daß man viele Merckmahle von einer Sache hat. Die Tiefe des Verstandes aber erforderet nur, daß einige Merckmahle klar erkanndt werden, und auch zugleich deutlich, und leicht einzusehen sind“ (Logik Blomberg, 57). – Vgl. Baumgarten: Der logische Horizont menschlichen Erkennens heiße „territorium et sphaera rationis et intellectus“ und enthalte die deutlichen, intensiven Vorstellungen, der ästhetische Horizont von Wahrnehmung und Intuition die extensiven Vorstellungen, er heiße „territorium et sphaera pulcri rationis analogi“ (Aesthetica, § 119; vgl. auch §§ 427 ff.).
[48] Logik Busolt, 653.
[49] Logik Dohna-Wundlacken, 707. Da werden „allgemeine Vorstellungen im Besondern vorgestellt“ (a.a.O., 708).
[50] Logik Dohna-Wundlacken, 709.
[51] Logik Dohna-Wundlacken, 756. „Alle Definitionen gegebener Begriffe, wenn sie a priori gegeben sind, sind allemal analytisch, alle Definitionen gemachter Begriffe ohne Unterschied synthetisch“ (757).
[52] Logik Philippi, 363. (ebd.).
[53] CrV A.820 ff.B.848 ff.; CU B.451 ff.; Logik, Einleitung: IX. – Vgl. alle Logikvorlesungen, z. B. Wiener Logik, 849. „Meinen ist ein subjectiv und objective unzureichendes Fürwahrhalten. Glauben ein subjectiv zureichendes, aber objectiv unzureichendes Fürwahrhalten. Also ist Glauben das Gegentheil von Meinen, Wissen ein so wohl objectiv als subjectiv hinreichendes Fürwahrhalten“ (Wiener Logik, 853).
[54] Wiener Logik, 862.
[55] „Hierauf gründet sich die Eintheilung der Critik der Urtheilskraft in die der ästhetischen und teleologischen; indem unter der ersteren das Vermögen, die formale Zweckmäßigkeit (sonst auch subjective genannt) durch das Gefühl der Lust oder Unlust; unter der zweyten das Vermögen, die reale Zweckmäßigkeit (objective) der Natur durch Verstand und Vernunft zu beurteilen, verstanden wird“ (CU B.L).
[56] Ich nehme also etwas „willkührlich als einen Grund an, aber durch die Annahme deßelben kann ich Gründe angeben von andern Erkenntnißen, die gewiß wahr sind, und in so fern es also demnach mit der Wahrheit verknüpft ist, heißt es Hypothese. […] Ich schließe also eigentlich aus der Wahrheit der Folgen auf den Grund“ (Wiener Logik, 886 f.).
[57] Wiener Logik, 887.
[58] Wodurch ist man überhaupt berechtigt, in dem mannigfaltigerweise Begegnenden die Einheitlichkeit eines Prinzips oder eines auf viele dieser Data passenden Allgemeinbegriffes sehen zu wollen, in der „Mannigfaltigkeit der Kräfte, welche uns die Natur zu erkennen gibt“, eine „bloß versteckte Einheit“ zu vermuten, wo es doch nicht weniger plausibel sein könnte, eine Ungleichartigkeit der Kräfte anzunehmen? (CrV A.650 f. B.678 f.).
[59] " Ein regulatives Zweckprinzip „eröffnet nämlich unserer auf das Feld der Erfahrungen angewandten Vernunft ganz neue Aussichten, nach teleologischen Gesetzen die Dinge der Welt zu verknüpfen, und dadurch zu der größten systematischen Einheit derselben zu gelangen“ (CrV A.687.B.715).
[60] Logik, §. 84.
[61] Vgl. Klaus Konhardt, Die Einheit der Vernunft, Meisenheim 1979, 306. Vgl. auch Georg Kohler, Geschmacksurteil und ästhetische Erfahrung. Beiträge zur Auslegung von Kants 'Kritik der ästhetischen Urteilskraft', Berlin u.a. 1980.
[62] Die Analysen in CU „lassen sich durchweg als Präzisierungen, Vertiefungen oder Weiterführungen der systematischen Grundideen der KrV und der KpV auffassen“ (Konhardt, a. a. O., 308). Für das Vermögen der reflektierenden Urteilskraft weist dies schon Max Liedtke nach (Der Begriff der reflektierenden Urteilskraft in der Kritik der reinen Vernunft, Hamburg 1964).
[63] Vgl. die instruktive Untersuchung Hans-Jürgen Engfer: "Über die Unabdingbarkeit teleologischen Denkens. Zum Stellenwert der reflektierenden Urteilskraft in Kants kritischer Philosophie", in: Hans Poser (Hg.), Formen teleologischen Denkens, Berlin 1981, 119-160.
[64] Darin sei „sowohl die Bedeutung als auch die Kompliziertheit seines Ansatzes begründet“ (Engfer: „Teleologie und Kausalität bei Leibniz und Wolff. Die Umkehr der Begründungspflicht", in: Albert Heinekamp: (Hg.): Beiträge zur Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte von Gottfried Wilhelm Leibniz, Stuttgart, 1986, 97-109, hier: 97; 98.
[65] Vgl. Specimen dynamicum, I.13: “leges mechanicas in universum a superioribus rationibus derivari intelligamus”.
[66] Engfer, Teleologie und Kausalität, 105, zu Wolffs Kritik am physikotheologischen Gottesbeweis. „An diesem Beweis kritisiert Wolff nämlich im wesentlichen, daß er auf der unerwiesenen Prämisse beruhe, daß es in den natürlichen Dingen wirkliche Zwecke gäbe“ (ebd., mit Verweis auf Wolff, Ratio praelectionum II, cap.3, §§ 42-45).
[67] Engfer, Teleologie und Kausalität, 108, mit Verweis auf Wolff, Deutsche Metaphysik, § 1037.
[68] CrV A.697.B.725.
[69] Siehe dazu Kants Gesamtwerk in neuer Perspektive, Kapitel 7.C und 7.F.
[70] Siehe dazu Kants Gesamtwerk in neuer Perspektive, Kapitel 7.E.
[71] Die Tätigkeit der Urteilskraft bestehe „in der Herstellung von Maximen, deren Form im kategorischen Imperativ ausgedrückt und deren Materie in den Zwecken gegeben ist, die wirkliche, endliche Vernunftwesen sich stellen. Aber die Einheit von Form und Inhalt, deren Herstellung unsere sittliche Aufgabe ist, ist nicht gegeben“ (John R. Silber: „Verfahrensformalismus in Kants Ethik“, in: Akten des 4. Internat. Kant-Kongresses (1974), hg. v. Gerhard Funke, Berlin 1975, III, 149-185, hier: 158).
[72] Critik der practischen Vernunft, 69.