Ein Schatten auf Kants Werk
- die Wirkung der Interpretationsgeschichte
Ein Schatten auf dem Werk – die Wirkung der Interpretationsgeschichte[1]
Meine neue Perspektive auf Kants philosophisches Lebenswerk versteht dieses als ein geplantes Ganzes einer philosophischen Inszenierung. Zugleich ist es auch ein Traditionskommentar. Es wäre davon auszugehen, dass Kant ein Masterwissen über den Theoriebestand der Tradition besaß. Dieses zusammen genommen, plädiere ich dafür: Wenn man die in seinem Werk enthaltenen rhetorischen Unterschiede adäquat berücksichtigt, also indirekte, satirische oder anspielend referierende Rede einzuordnen weiß, ergibt sich: Das Werk enthält vor dem Hintergrund der philosophischen Tradition alles, was man zum Verständnis der Methode, des Programms und der Theorie benötigt. Rekonstruktionen sind gar nicht nötig. Stattdessen ist in zweihundert Jahren der Werkinterpretation die Einheit der Schriften in einzelne Stücke zerlegt worden. Das liegt auch daran, dass Bemerkungen Kants, die auf eigene Unzulänglichkeiten hinzuweisen scheinen, im 19. Jahrhundert wörtlich, also im Sinne tagebuchartiger Bekenntnisse, aufgefasst wurden. Und es liegt auch daran, dass die Autoren jenes Jahrhunderts kein Gespür mehr für skeptische Ironie in philosophischen Texten der Neuzeit hatten.
Auch etwa die stets gern zitierte Stelle aus der Reflexion 5037: „Das Jahr 69 gab mir großes Licht“,[2] wurde als solches Selbstbekenntnis verstanden, da sie auf einen unvermuteten Zugewinn an Erkenntnis hinzudeuten scheint. Norbert Hinske weist hierzu auf die auffälligen Parallelen zu einem Lieblingsausdruck Christian Wolffs hin.[3] Man könnte diese Äußerung Kants also auch als leicht spöttische Referenz auf die Wolffschen Erleuchtungsschilderungen verstehen, die sich aber gar nicht zwingend auf inhaltlichen Zugewinn bezöge, durch den man zu folgern berechtigt wäre, dass bei Kant vor dieser Zeit eine Ausarbeitung einer Kritik grundsätzlich nicht möglich gewesen sei. Stattdessen könnte es um die Möglichkeiten und Grenzen der Rezeption eines anderen Autors gehen.
Kant hatte durch die Stelle des Unterbibliothekars in der Schloßbibliothek von 1765 bis 1772 den Traditionsbestand an Schriften in zu seiner Zeit und in seiner Region größtmöglichem Umfang zur Verfügung. Er hatte sich mit Verweis auf die „erwünschte Gelegenheit, die ich in einem solchen Posten antreffen würde, so viele Hülfsmittel der Wissenschaften bey der Hand zu haben“, beworben,[4] und er kündigte diese Stelle erst im Frühjahr 1772, obwohl er bereits seit 1770 Professor war.[5] Aber auch die königliche Bibliothek konnte nicht immer mit Vollständigkeit dienen. Besonders von Leibniz blieb Vieles lange Zeit unveröffentlicht. Dann erschien 1768/69 überraschend die sechsbändige Werkausgabe von Louis Dutens.[6] Leibniz' Theorien waren zuvor durch Wolff, Meier, Sulzer und Reimarus oder indirekt durch Voltaire vermittelt worden,[7] sicher nicht immer adäquat. Neu war also nun, so Albert Heinekamp, dass „Leibniz in seinen authentischen Werken zugänglich wurde. Seine Gedanken wurden aus der Verbindung, die sie mit den Lehren Wolffs und dessen Anhängern eingegangen waren, gelöst. An die Stelle des Leibniz der Wolffianer trat Leibniz selbst“.[8] In Dutens' Ausgabe wurden zudem „seltene Drucke und insgesamt etwa 100 noch nicht veröffentlichte Leibniz-Handschriften“ zugänglich gemacht.[9]
Die Notiz Kants, das Jahr 1769 habe ihm „großes Licht“ gegeben, sollte meines Erachtens auf die Lektüre dieser Dutens’schen Werkausgabe bezogen werden, denn Leibniz lesen zu können, war von großer Wichtigkeit für Kant. So schreibt Kant zu seinem Programm im Ganzen: „Zugleich sey mir erlaubt, zu erklären, daß meine bisher auf Critik gerichtete Bemühungen keinesweges, wie es scheinen könnte, darauf angelegt sind, der Leibnitz-Wolfischen Philosophie entgegen zu arbeiten […] sondern nur durch einen Umweg, den wie mich dünkt, obige große Männer für überflüssig hielten, in dasselbe Geleise eines schulgerechten Verfahrens, und vermittelst desselben, aber nur durch die Verbindung der theoretischen Philosophie mit der Praktischen, zu eben demselben Ziele zu führen – eine Absicht, die sich klärer an den Tag legen wird, wenn ich so lange lebe, um wie ich Vorhabens bin, die Metaphysik in einem zusammenhängenden Systeme aufzustellen.“[10] Mit dem „Umweg“, der „in dasselbe Geleise eines schulgerechten Verfahrens“ und „zu eben demselben Ziele“ wie bei Leibniz und Wolff führe, scheint mir hier klar der etwas umständliche Aufbau des eigenen Systems und der Umweg über die kritische Methode angezeigt, wobei zugleich darauf hingewiesen wird, dass dieses System jetzt, 1790, zwar zu einem großen Teil, allerdings eben noch nicht vollständig vorliege.
Das „große Licht“ jedenfalls wäre so verstanden nicht Teil eines Berichtes über ein persönliches Erleuchtungserlebnis, sondern auf die Erweiterung der Kenntnis relevanter (Leibnizscher) Schriften bezogen. Andere Nennungen etwa über „Umkippungen“ können auf andere, strategische Aspekte des Werkaufbaus bezogen werden. Kant stellt sein eigentümliches Verfahren besonders in Briefen als ein Suchen, Finden und Entdecken hin.[11] Auch Selbstbezichtigungen Kants sind meines Erachtens inszeniert, da Kant die Dubitatio als Stilmittel nicht nur textimmanent, sondern auch oft in Bezug auf sein „Ich“ anwendet.[12] Kant, dessen doppelbödige Ausführungen eben nicht einfach nur, wie bei Voltaire, Rousseau oder La Mettrie, polemisierten, sondern dessen Werkganzes in Ergänzung zu skeptischen Verfahren den abgesicherten Aufbau der eigenen Metaphysik trägt, benutzt auf diese Weise seine eigene Person als inszeniertes Vorbild seiner Werkstrategie. Selbstbezichtigungen sind ebenso wie anspielende Referenzen auf die Tradition ein Charakteristikum der Konzeption.
Daher müssen die hermeneutischen Vorgaben für das Verständnis von Briefstellen dringend modifiziert werden. Kants Briefe dürfen meines Erachtens auf gar keinen Fall als Tagebucheinträge gelesen werden. Denn sie weisen oft eine systematische Nähe zum Werk auf und erörtern Inhalte, bevor oder ohne dass sie im Druck erscheinen,[13] und sind nicht Bekenntnisse oder „Zeugnisse seines Seelenlebens“, wie schon Karl Vorländer betont.[14] Häufig entschuldigt Kant mit Äußerungen über Alter, Gesundheit oder Unpässlichkeiten in Briefen einfach nur die eigene Säumigkeit.[15] Marie Rischmüller betont dazu, im Zusammenhang der Notate Kants in seinem Handexemplar der Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen ganz allgemein:[16] Kant habe „eine tiefverwurzelte Aversion gegen seelensezierende Introspektion“ gehabt.[17]
Kants „Ich“ in Briefen ist also als literarisches Ich zu verstehen. Wenn Kant in einem Brief an Reinhold zunächst sein System lobt, wobei er dreimal „Ich“ schreibt,[18] so steht dies in einem Kontrast zu den anschließenden Schilderungen, in denen er sein „Ich“ als suchend und findend präsentiert. Auch „wenn ich bisweilen die Methode der Untersuchung über einen gewissen Gegenstand nicht recht anzustellen weiß“, so sei nur auf sein Werk zurückzublicken, „um Aufschlüsse zu bekommen deren ich nicht gewärtig war. So beschäftige ich mich jetzt mit der Critik des Geschmaks bey welcher Gelegenheit eine neue Art von Principien a priori entdeckt wird als die bisherigen“. Er habe zwei Principien gefunden, ein drittes gesucht, nicht für möglich gehalten, es zu finden, aber er sei durch das Systematische der Zergliederung der Vermögen in seinem Werk doch auf den Weg gebracht worden, so dass er „jetzt drey Theile der Philosophie erkenne deren jede ihre Principien a priori hat“.[19] Dieser Brief an Reinhold enthält meines Erachtens einen freundlichen, aber bestimmten Hinweis darauf, dass die kantische Philosophie ‚im Gange ist‘, weiter ausgeformt wird, und sich mit der ersten Kritik und den bei Reinhold entfalteten Themenkreisen (Gottesbeweise, rationale Psychologie u. a. m.) noch lange nicht erschöpfe. Reinhold versteht diese subtilen Hinweise natürlich nicht, sondern eröffnet als Erster die Jagd nach dem angeblich fehlenden ersten Prinzip der Philosophie.
Häufig ist das Werkganze und sein Plan auch ganz unverbrämt Gegenstand der Korrespondenz. Schon 1749 heißt es, er habe „eine Fortsetzung dieser Gedancken in Bereitschaft die nebst einer fernern Bestätigung derselben andere eben dahin abzielende Betrachtungen in sich begreifen wird“.[20] 1783 schreibt er in ähnlicher Manier: „Es werden sich mit der Zeit einige Puncte aufklären (dazu vielleicht meine Prolegomena etwas beytragen können). Von diesen Puncten wird ein Licht auf andere Stellen geworfen werden, wozu freylich von Zeit zu Zeit ein erläuternder Beytrag meiner Seits erfoderlich seyn wird, und so wird das Gantze endlich übersehen und eingesehen werden, wenn man nur erstlich Hand ans Werk legt und indem man von der Hauptfrage, auf die alles ankommt, […] ausgeht“.[21] Kant schreibt 1785: „Ich muß meine Gedanken ununterbrochen zusammenhalten, wenn ich den Faden, der das ganze System verknüpft, nicht verlieren soll“.[22] Und 1786 heißt es: „Aenderungen im Wesentlichen werde ich nicht zu machen haben, weil ich die Sachen lange genug durchgedacht hatte, ehe ich sie zu Papier brachte, auch seitdem alle Sätze, die zum System gehören, wiederholentlich gesichtet und geprüft, jederzeit aber für sich und in ihrer Beziehung zum Ganzen bewährt gefunden habe“.[23] 1787 notiert er: „Ich darf ohne mich des Eigendünkels schuldig zu machen, wohl versichern daß ich je länger ich auf meiner Bahn fortgehe desto unbesorgter werde es könne jemals ein Wiederspruch […] meinem System erheblichen Abbruch thun“.[24] 1789 schreibt er davon, dass er in seinem „66ten Jahre noch mit einer weitläuftigen Arbeit meinen Plan zu vollenden“, beladen sei;[25] und er spricht von den Hindernissen, „die mir immer in den Weg kommen und die ich doch nicht vorbey gehen darf, ohne meinem Plane zuwieder zu handeln“.[26] Dieser Plan wird schon 1787 auf die Vollendung seiner Lebensarbeit bezogen, von der er 1797 als letztem Zweck spricht, den er „vor dem Thorschluße“ nicht „aus den Augen“ verlieren wolle:[27] „Ich habe mich in meinen philosophischen Arbeiten in ein für mein Alter ziemlich beschwerliches und weit hinaussehendes Geschäfte eingelassen; aber ich finde darinn, vornemlich was den Rückstand betrift, den ich jetzt bearbeite, so guten Fortgang und habe so gute Hofnung die Sachen der Metaphysik in ein so sicheres Gleis zu bringen, daß mir dieses zur Aufmunterung und Stärkung dient, um meinen Plan zur Vollendung zu bringen“.[28]
Kommentierend, bündelnd und pointierend teilt Kant die Philosophiegeschichte ein, zum Beispiel in Empiristen/Rationalisten oder Dogmatiker/Skeptiker. Dazu gilt, was Hans-Jürgen Engfer mit Blick auf Johann Nicolaus Tetens ausführt: Zuspitzend wird die eigene Leistung der Überwindung und Versöhnung von „Einseitigkeiten“ akzentuiert.[29] Dies stimmt nicht nur für Tetens, sondern auch für Kant und andere Autoren. Kants Zuspitzungen sind aber als Lehrstücke weitergetragen worden; das 19. Jahrhundert konnotiert dann solche Einteilungen mit nationalen Ambitionen; und so festigte sich schließlich das Schema, in England und Schottland denke man empiristisch, auf dem Kontinent rationalistisch.[30] Obwohl etwa Christian Wolff vieles empiristisch begründet, gilt er als einschlägiger Vertreter des Rationalismus. Bacon, dessen Formbegriff, der zentrale Begründungfunktion hat, gerade nicht empirisch determiniert ist, wird bis heute paradigmatisch als Theoretiker der Induktion gehandelt.[31]
Dass man Kant im 19. Jahrhundert in allen Belangen wortwörtlich auffasste, setzte sich als bis heute prägendes Verständnis allgemein durch. Das 19. Jahrhundert bildete für die Interpretation Kants die folgenden entscheidenden Präsuppositionen aus: 1. Ausführungen Kants geben seine Position zum jeweiligen Zeitpunkt wieder. 2. Sie sind grundsätzlich als direkte Rede, nicht im Sinne von Problematisierungen aufzufassen. 3. Nur explizite Ausführungen Kants dürfen als Belege verwendet werden. Für die Erforschung des historischen Hintergrundes bezog man daher nur Autoren ein, die Kant namentlich nennt, und dies auch nur für die ‚Phase‘, in der er dies tut. Aus dem Umstand, dass Kant ein eventuell einschlägiges Werk nicht nennt, leitete man ab, dass er dieses Werk zu dieser Zeit nicht kannte oder nicht hat kennen können.
Historische Analyse sollte jedoch immer, wenn der Textbefund mangelnde Eindeutigkeit aufweist, zu der Einschätzung verpflichtet sein, dass „die verfügbaren Quellen nicht ausreichen, um […] zu einer Entscheidung zu kommen“.[32] Im 19. Jahrhundert aber war man mehr als sicher, dass Kants Schaffen sich wirklich in solchen Phasen abgespielt hat, da man Äußerungen über eigene Unzulänglichkeiten bei Kant als Belege zwar nicht für konkrete Phasen, aber dafür auffasste, dass Entwicklungsschübe passiert sein mussten. Dass diese Voraussetzungen zu keiner Zeit in Frage gestellt wurden, verdankt sich auch dem Umstand, dass seinerzeit allem das Interpretament der Entwicklung zu Grunde gelegt wurde. Das prägende, gewissermaßen „erlösende Wort“ war eben für das 18. Jahrhundert, so bringt es Helmuth Plessner auf den Punkt: Vernunft, für das 19. Jahrundert hingegen Entwicklung.[33] Kants eigene Entwicklung versteht man also seither in seinem Werk gespiegelt. Ernst Cassirer etwa ist der Auffassung, Kants „Stufenfolge“ z. B. aus der Schrift Was heißt: Sich im Denken orientiren? lasse sich auf Kants „eigene gedankliche Entwicklung anwenden“.[34] Benno Erdmann deutet das Theoriestück der Antinomien biographisch[35] und stützt sich dazu auf einen Brief Kants an Garve vom 21. 9. 1798. Ausgegangen sei er, so erklärt Kant darin, von den Antinomien, und das sei es, was ihn „aus dem dogmatischen Schlummer zuerst aufweckte und zur Critik der Vernunft selbst hintrieb, um das Scandal des scheinbaren Wiederspruchs der Vernunft mit ihr selbst zu heben“.[36] Aber abgesehen davon, dass Kant Garve nicht aus seinem Leben berichten, sondern einen Irrtum korrigieren will,[37] ist auch in diesem Brief die Zeitangabe, wie in allen derartigen Äußerungen Kants im Werk, in Briefen und in den Reflexionen, völlig unbestimmt. Kant schreibt auch: „so glaube ich seit der Zeit, als ich keine Ausarbeitungen dieser Art geliefert habe, zu wichtigen Einsichten in dieser disciplin gelangt zu seyn, welche ihr Verfahren festsetzen und […] in der Anwendung als das eigentliche Richtmaas brauchbar sind“;[38] und hier wäre mit der Zeit, in der er keine Ausarbeitungen dieser Art geliefert habe, seine Studienzeit gemeint.
Im 19. Jahrhundert lautete der Vorwurf, Kant habe über die eigene geistige Entwicklung nicht nachgedacht. „Dieser Mangel an Selbstbetrachtung […] muss durch die geschichtliche Betrachtung ersetzt werden“.[39] Bis heute geht man von der Leitidee der Denkentwicklung Kants aus. Am stärksten drückt sich diese bei Kuno Fischer und Arthur Schopenhauer in der These von der ‚Zerrüttung‘ der Denkkraft des alten Kant[40] sowie in Wilhelm Windelbands These einer Idealgestalt der Transzendentalphilosophie aus, die Kant selbst nicht mehr habe verwirklichen können.[41]
Im Hinblick auf Kants Rechtslehre ist zwar etwa Christian Ritter von einer Kontinuität im Werk überzeugt: „Weder im Jahre 1769 noch später fand ein ‚Bruch‘ statt, der es erlauben könnte, von einer ‚vorkritischen‘ im Gegensatz zu einer ‚kritischen‘ Phase der kantischen Rechtsphilosophie zu sprechen“.[42] Und im Hinblick auf Übereinstimmungen zwischen Himmelstheorie und der dritten Kritik hält Lutz Koch dafür, Kants frühe Schriften seien nicht als von Kant „verlassene Stufe[n] des Denkens“ aufzufassen.[43] Im Allgemeinen aber wird Kants Werk als Ereignisabfolge aus Krisen, Umbrüchen, Unterbrechungen und Beeinflussungen verstanden, wobei „ein äußerer Impuls eingreift und der Denkarbeit eine ganz neue Richtung verleiht“.[44] Kant schwanke in seinen Aussagen und habe sich nicht alle Argumente wirklich und wahrhaftig klarmachen können.[45] Begriffe und Einteilungen wiesen „Widersprüche und Unklarheiten“ auf.[46] Begriffe und ihre Modifikationen werden auf genannte Phasen im Denken des Autors bezogen.[47] Sein Denken wird als von außen beeinflusst beschrieben. Es seien Theorien Anderer, „unter deren Herrschaft Kant zum selbständigen Denker“ heranwuchs und „deren Methoden er in mühsamen Schritten allmählich zu durchschauen lernte“.[48] Bis heute resultiert daraus die Methodenforderung, dass Zusammenhänge nur auf dem Weg systematischer Rekonstruktion expliziert werden dürfen.[49] Zwischen dem Denken früher Jahre und der kritischen Periode verortet man die transzendentale Wende.
Für den Umgang mit Kant im 19. Jahrhundert ist nun zu differenzieren: er zeichnet sich zum einen durch präzise historische Analyse auf der Grundlage strikter Maßstäbe wissenschaftlicher Objektivität und zum anderen durch scharfe Polemik aus. Beide Weisen der Auseinandersetzung mit Kant verbinden sich zunächst nicht miteinander; beiden aber ist gemeinsam, dass Voraussetzungen in die Analyse Kants hineingetragen werden, und zwar unhinterfragte Voraussetzungen, die jeweils auf teleologisches Denken zurückgehen. Die Historiographen sind insofern teleologischen Konzepten verpflichtet, als Ereignisse in ihrer historischen Darstellung als Reifeprozesse veranschaulicht und die ‚Reifung‘ philosophischer Werke im Zusammenhang mit der ‚Reifung‘ des Autors erörtert wurden.[50]
Die polemischen Attacken auf Kant werden hingegen von der Idee des Denkfortschritts getragen: überholten Thesen sollen die eigenen, besseren Einsichten entgegengesetzt werden. Kant gilt Hegel in diesem Sinne als „Vorläufer“, wie Herbert Schnädelbach pointiert zusammenfasst, und Kants Werk „präsentierte sich in dieser Perspektive als zwar notwendige, aber eben doch begrenzte Vorstufe des Hegelschen Systems, in dem das Absolute endlich seine eigene Wahrheit erfaßt habe.“ Das bewertet Schnädelbach so, und ihm ist voll zuzustimmen: „Der Vorläuferstatus Kants ist hegelianische Propaganda, der fast sämtliche Philosophiehistoriker des 19. Jahrhunderts folgten“.[51] Eine polemische Auseinandersetzung mit Kant pflegte besonders Schopenhauer, der sich selbst für den einzig wahren „Nachfolger Kant's und Vollender seiner Philosophie“ hielt.[52] Polemische Gegnerschaft ist in Kants Philosophie selbst begründet: Das Verfahren der Aufhebung unversöhnlicher Gegnerschaften wirkte bei den späteren Bearbeitern polarisierend. Die „grossen Gegensätze“ traten, wie J. E. Erdmann erläutert, wieder hervor, die „sich in Kant ausgeglichen hatten“.[53] Vorwürfe gegen Kant gingen aus parteilichen Überzeugungen gegen ein Denken hervor, das es sich, so J. E. Erdmann, durch die Aufhebung von Gegensätzen mit allen „verderben musste“.[54] Windelband meint, der Alles Zermalmende sei „eben zugleich der Alles Enthaltende“.[55] Erich Adickes erklärt es als charakteristisch für Kant, dass er häufig zwei verschiedene, „oft als unvereinbar“ angesehene Hinsichten verschmelze.[56]
Es gibt nur wenige monographische Gesamtdarstellungen des Kantischen Werkes; sie stammen im 19. Jahrhundert von Karl Rosenkranz, Kuno Fischer, Hermann Cohen, Konrad Dieterich und Günter Thiele[57] und im 20. Jahrhundert von Ernst Cassirer, Karl Vorländer, Herman Jean de Vleeschauwer und Friedrich Kaulbach.[58] Zu nennen wären außerdem Beiträge und Biographien von Harald Höffding, Gereon Wolters, Gerd Irrlitz oder Manfred Kuehn[59] sowie Studien, die sich mit einem größeren Teil des Gesamtwerkes befassen.[60] Rosenkranz‘ Darstellung stammt aus dem Jahr 1840. Zuvor stellten sich systematische Fragen nur an Teile des Werkes.[61] Das Werkganze spielte zu Beginn des 19. Jahrhunderts zunächst überhaupt keine Rolle, bis sich mit Bezug auf den Inhalt Fragen an die Entstehung des Werkes ergaben. Kants Werk war so von Anfang an Gegenstand eines Interesses, das nach der Entstehung von Ideen und Theorien fragte. Schon das frühe 19. Jahrhundert bearbeitete diese Frage mittels einer teleologisch geprägten Methodologie der Geschichtswissenschaft, die nach objektiven Gesetzen für eine rationale Geschichtswissenschaft suchte.[62] Der Gedanke der Entwicklung wurde zum zentralen Paradigma. Das Entstehen von Ideen wurde in eine Analogie zu organischem Wachstum und zu chemischen Reifeprozessen gesetzt, indem man pädagogische und psychologische Theorien zur Entwicklung von Individuen auf historische Gesetzmäßigkeiten im Ganzen übertrug.[63] So verkoppelte man für die Begründung der Methoden und für die historiographische Darstellung psychologische mit epochalen Entwicklungsgesetzen[64] und sprach in biologischen Metaphern von Keimung oder Gärung des Denkens und der Reifung von Ideen;[65] damit strukturierte man die Geistesgeschichte – und auch Kants Werk. Im Ganzen prägten sich zu Kant zwei Fragestellungen aus: die eine orientierte sich am Werden der Gedanken Kants und suchte deren Bedingungen zu analysieren, die andere konzentrierte sich auf die inhaltliche Wertung der Transzendentalphilosophie. Mit der ersten verband sich ein größeres Interesse an Einzelheiten des Werkzusammenhangs bei Kant, und die Vorgehensweise war hier historisch-genetischen Methoden verpflichtet. Auf diese Seite gehören die Werkausgaben Rosenkranz' und Gustav Hartensteins. Beide legen das Schema der allmählichen Reifung des Denkens Kants zu Grunde, wobei bei Hartenstein eher die Reifung des Werkes akzentuiert wird.[66] Rosenkranz legt das Gewicht auf die Nachzeichnung der Epochen der Denkgeschichte, die sich bei Kant spiegelten.[67]
Bei Autoren, die ein stärker systematisches Interesse an Kant hatten, war das Interesse von Anfang an auf die Schriften eingegrenzt, die im Gesamtwerk eine Sonderstellung im Hinblick auf ihre Komplexität und Aussagekraft haben, also in erster Linie auf die kritischen Schriften. Auf dieser Seite der Auseinandersetzung mit Kant betonte man, Kant sei in vielem zu verbessern und zu ergänzen. So äußerte sich bereits Jakob Friedrich Fries.[68] Schopenhauer attestierte dem Werkaufbau eine übertrieben manieristische Architektonik – eine Beurteilung, die später häufg übernommen wurde.[69] Er ließ sich auch gern über Kants angebliche Altersschwäche[70] und angebliche Menschenfurcht aus.[71] Die intensive systematische Auseinandersetzung mit Kant, sei sie polemisch oder nicht, ignorierte im 19. Jahrhundert zu Gunsten des Kritizismus das Werkganze entweder ganz oder widmete den übrigen Schriften nur ein nachgeordnetes Interesse.
Erst Kuno Fischer, einer der wirkmächtigsten Philosophiehistoriker des 19. Jahrhunderts, nimmt eine genauere Einbeziehung aller Schriften in Angriff und verkoppelt die in Rosenkranz' Werkausgabe noch getrennten Analysen von Werk und Leben – die Biographie Kants hatte hier der Historiker Friedrich Wilhelm Schubert geschrieben[72] – mit Blick auf die skizzierten Analogien zwischen der Reifung von Individuen und den Epochen der Ideengeschichte. Gesetzmäßigkeiten von Lernprozessen werden auf die Genese von Ideen übertragen. Die „dogmatische Philosophie“ sei „die entwicklungsgeschichtliche Voraussetzung der kritischen“,[73] und die Richtschnur für die Analyse leite sich von Kants Lebensgeschichte her.[74] Ohne die frühen Schriften ließen sich keine gesicherten Kenntnisse zu Kants Philosophie gewinnen, die dort im Keim angelegt sei.[75]
Inspiriert von der Arbeit Fischers wird seither die Präsentation des Werkes mit der Darstellung der Biographie Kants verknüpft, und zudem eine sogenannte vorkritische von einer kritischen Periode in Kants Werk unterschieden. Auch eine weitere Festlegung jener Zeit wird sich durchsetzen: es ist die Trennung, die Hermann Cohen zwischen Kants „naturwissenschaftlichen“ und „erkenntnistheoretischen“ Schriften vornimmt.[76] Cohen spitzt damit das Rezept zu, mit dem schon Rosenkranz das Problem der Anordnung der Schriften löst, indem er die Bände seiner Werkausgabe nach inhaltlichen Rubriken ordnet.[77] Seit Cohen und Fischer trennt man also häufig Kants augenscheinlich naturwissenschaftliche von den erkenntnistheoretischen sowie die kritischen von den vorkritischen Schriften.
Dass Fischers Studie vielfach wiederaufgelegt wurde, verdankte sich sicher seinem großartigen Stil. Sein Schüler Wilhelm Windelband lobt, dass Fischer alles in lichtvoller „Einfachheit“ geschildert habe. Und das habe selbst diejenigen angezogen, „welche vor der schwierigen, dunklen und verschachtelten Schreibweise Kants zurückgeschreckt waren; und nachdem sie nun die Richtlinien des Verständnisses deutlich vor sich aufgelegt sahen, wagten sie sich mit der Zeit auch wieder an den grossen Königsberger selbst heran“.[78]
Es ist allerdings festzustellen, dass es an einer expliziten Rechtfertigung dieser Richtlinien des Verständnisses gänzlich fehlt. Weder Fischer selbst noch die Autoren, die diesen Richtlinien folgen, nahmen je eine solche vor. Fischer ist zunächst besonders von Cohen kritisiert worden,[79] der eine sachliche statt der chronologischen Reihenfolge fordert, um besser zu erörtern, wie Kant Elemente der Theorie „gefunden“ habe,[80] oder wie Kant zu einer Überzeugung gekommen sei. Auch Höffding, Boehm, Vorländer, Cassirer, De Vleeschauwer, Kaulbach oder Irrlitz analysieren in dieser Tradition den Fortschritt in Kants Denken.[81]
Fischer weist Kant einen engen Zusammenhang zwischen späten und frühen Schriften nach, aber er koppelt Kants Entwicklung an die Annahme, es habe Brüche und „Wendepunkte“ im Denken gegeben.[82] Dies führte nun im Anschluss an Fischer dazu, dass das Werkganze kaum noch als eine Einheit gelesen wurde.
ABER: Fischers Analysen und sein Herangehen sind mit Blick auf die zitierte lichtvolle Einfachheit seiner Darlegungen in höchstem Maße problematisch. Denn die Verwendung festgelegter Schemata, um die es sich bei Fischers Richtlinien des Verständnisses letztlich handelt, birgt die Gefahr, „systmatisch von all denjenigen Momenten und Seiten […], die sich dem Schema nicht fügen“, zu abstrahieren.[83] Während Rosenkranz die Methode Kants im Blick hatte und das Werk in eine heuristische, eine spekulativ-systematische und eine praktische Periode einteilte,[84] koppelt Fischer die methodologische Analyse an eine inhaltliche Wertung. Er bezeichnet die erste Periode, die er sich ausdenkt, als vorkritische und die zweite als kritische. In seiner Antrittsvorlesung hat dies noch eher den Sinn einer zeitlichen Einordnung;[85] aber in seinem historiographischen Hauptwerk zu Kant stellt er Kants kritische Leistung pointiert in Absetzung zu dogmatischem Denken dar. Da werden nun die vorkritischen Schriften zugleich als dogmatische präsentiert.
Eine Problematisierung des bei Fischer zu Grunde liegenden Deutungsschemas wurde zu keiner Zeit angestrebt. Denn durch die auch stilistisch gelungene Verbindung von Werkanalyse und Biographie entstand der Eindruck, die systematisch für die Werkinterpretation eminenten Entwicklungen im Denken, die Fischers Schema strukturieren, hätten in Kants Leben tatsächlich stattgefunden.[86] So verfolgten alle Darstellungen des Werkganzen im Anschluss an Fischer, insbesondere die beiden sehr ähnlichen Studien Vorländers und Cassirers, nicht das Ziel, Voraussetzungen für das Schema und seine Anwendung bei Fischer zu erörtern. Vielmehr suchten sie die Ursachen der Perioden oder Phasen in Kants Leben und Schaffen zu klären. In Hinskes Studie[87] wird zwar Fischers Betrachtungsweise und eine von den kritischen Schriften ausgehende Bewertung aller Schriften Kants hinterfragt, aber durch Hinskes Betonung der Eigenständigkeit des Frühwerks wird erst recht die Gültigkeit einer Einteilung in voneinander separierbare Werkabschnitte untermauert; dies gilt auch für die Arbeit Martin Schönfelds.
Wenngleich allen genannten Deutungen die Annahme von Brüchen im Werk Kants zu Eigen ist, werden durchaus auch Kontinuitäten präsentiert, und sei es nur für bestimmte Abschnitte.[88] So stellt Höffding fest: „Es gibt keinen Punkt in Kants Gedankenentwicklung, an welchem ein derartiger Sprung zu finden wäre, dass das entschiedene Eingreifen eines fremden Gedankenganges eine unerlässliche Voraussetzung genannt werden müsste. Ueberall lässt sich das Fortschreiten sehr wohl als Fortsetzung der vorhergehenden Tätigkeit erklären“.[89] Auch schon Mirbt schreibt: „Man hat gewöhnlich die Meinung, als sei der spätere Kant […] ein ganz anderer als der frühere […]. Zu diesem Wahne giebt wenigstens eine genaue und sorgfältige Vergleichung seiner früheren und späteren Schriften keine Veranlassung“.[90] Solche Aussagen bleiben aber allesamt unklar, denn sie beleuchten Zusammenhänge im Werk nicht eindeutig genug.
Fischer aber „sucht und macht Unterschiede“; dies müsse, so Cohen, „vor Allem anerkannt werden“.[91] Seine Zäsuren belegt Fischer im kantischen Text. Nun ergeben sich aber Zweifel darüber, ob er Kants Ausführungen angemessen wiedergibt. Fischer zieht viele Referenzstellen in einer dem Argument, zu dem sie gehören, nicht angemessenen Weise, also nicht in voller Länge oder im Zusammenhang heran, sondern schneidet sie aus und untersucht sie in verkürzter Gestalt.[92] Dies gilt auch für genau die zwei Stellen, mit denen er Anfang und Ende seiner ersten vorkritischen oder dogmatischen Periode rechtfertigt. Er vergleicht Kants Raumbegriff aus Kräfte und Beweise (als erstem) und aus Gegenden (als letztem Text dieser Periode). In beiden gälte „der Raum durchgängig als in der Natur der Dinge gegeben“; Kant glaube „an das objektive Dasein desselben“.[93] Bei Kant heißt es zunächst: „Es ist leicht zu erweisen, daß kein Raum und keine Ausdehung seyn würden, wenn die Substanzen keine Kraft hätten, außer sich zu wirken. Denn ohne diese Kraft ist keine Verbindung, ohne diese keine Ordnung und ohne diese endlich kein Raum“.[94]
Nun ist hierzu zu berücksichtigen, dass Kant in Gedanken von der Wahren Schätzung der Lebendigen Kräfte etliche Positionen – diese hier ist die von Christian August Crusius[95] – mit der Behauptung vorträgt, sie seien leicht zu erweisen, woraufhin dann bestimmte Schwierigkeiten zur Sprache kommen, so dass der Text ganz offensichtlich eben nicht die Aufgabe hat, Positionen zu lehren. Kant schickt der Schrift vorweg, dass er gedenke, Sätze auf eine besondere Weise zu referieren: „Man wird mich zuweilen in dem Tone eines Menschen hören, der von der Richtigkeit seiner Sätze sehr wohl versichert ist, und der nicht befürchtet, daß ihm werde widersprochen werden, oder daß ihn seine Schlüsse betrügen können. […] Es stecket eine ganz andere Absicht unter meinem Verfahren. Der Leser dieser Blätter ist ohne Zweifel schon durch die Lehrsätze, die itzo von den lebendigen Kräften im Schwange gehen, vorbereitet, ehe er sich zu meiner Abhandlung wendet“.[96] Der Leser kenne, so Kant, sicher die ganze Diskussion. Es gälte daher mit kleinen Kunstgriffen die Aufmerksamkeit des Lesers zu fesseln.[97] Kant selbst klärt hier also über die Bedeutung der Rhetorik auf, aber über diesen wichtigen Aspekt wird man weder bei Fischer noch in einer der anderen Gesamtdarstellungen informiert.
Fischer behauptet nun weiter, Kant wolle auch in der Schrift Von dem ersten Unterschied der Gegenden im Raume „mathematisch beweisen“, der absolute Raum sei „unabhängig von dem Dasein aller Materie“ und habe „als der erste Grund der Möglichkeit ihrer Zusammensetzung eine eigene Realität“,[98] was den Charakter des Frühwerks belege.[99] Fischer nimmt aber auch hier keine Rücksicht auf den Zusammenhang, den Kant selbst seinen Sätzen gibt. In Gegenden unternimmt Kant nämlich eine Prüfung: „ich setze daher nichts weiter hinzu, als daß mein Zweck in dieser Abhandlung sei, zu versuchen, ob nicht in den anschauenden Urtheilen der Ausdehnung, dergleichen die Meßkunst enthält, ein evidenter Beweis zu finden sei: daß der absolute Raum unabhängig von dem Dasein aller Materie und selbst als der erste Grund der Möglichkeit ihrer Zusammensetzung eine eigene Realität habe“.[100] Die Abhandlung formuliert also genau das, was ihr als kategorisches Urteil untergeschoben wird, als Frage, nämlich ob ein evidenter Beweis für die Unabhängigkeit und Absolutheit des Raumes in den anschauenden Urteilen der Geometrie zu finden sei. Auch sie darf als eine hypothetisch prüfende Untersuchung gelten, und sie geht also nur in einem bestimmten Sinne von einer „absoluten“ Realität des Raumes aus.[101]
Bei Fischer werden Passagen des kantischen Textes geklittert, damit sie seinem historiographischen Schema eingepasst werden können. Das sollte ein hinreichender Grund sein, Präsuppositionen zum Werkzusammenhang, soweit sie aus Fischers Schema folgen, ebenso seine „grossen und einfachen Linien“[102] aus der Kant-Interpretation zu eliminieren. Heuristisch sollte man die volle Souveränität des Autors über sein Werk und über alle denkbaren Zusammenhänge, rhetorischen Strategien oder Details der Gedankenführung annehmen. Deshalb dürfen z. B. die Handbücher, die werkschließend erscheinen, auch nicht im Sinne bloßer Kompendien der Vorlesungsinhalte aufgefasst werden. Von 1800 an, als er schon keine Vorlesungen mehr hielt, lässt Kant Handbücher zu Vorlesungen erscheinen. Mit Bezug auf das zur Logik gilt, dass es wichtige Teile der Gedankenführung im Werkganzen liefert. Logik etwa bringt für Transzendentalphilosophie und Erkenntnistheorie entscheidende Ergänzungen zu den Ausführungen in der Ersten und Dritten Kritik, insbesondere zu Fragen der Vollkommenheit der Erkenntnis, und dies unter anderem dadurch, dass hier der Begriff des „Horizonts“ der Erkenntnis eingeführt und genauer ausbuchstabiert wird. Logik hat daher eine tragende Funktion für das Ganze des Kantischen Werkaufbaus und ist keineswegs die ‚Logik Jäsches‘. Die Schrift Anthropologie in pragmatischer Hinsicht abgefaßt von Immanuel Kant (1798/1800) offenbart schon im Titel, dass es sich gar nicht um ein Handbuch handelt. Sie schließt, auch durch den spezifischen Methodenansatz, einige Bögen innerhalb des Gesamtwerkes ab, und zwar sofern Ausprägungen der menschlichen Seite der transzendentalen Subjektivität betroffen sind. Auch diese Schrift enthält in großem Maße ironische und anspielende Text-Passagen, und sie ist äußerst interessant und lustig zu lesen. So wendet sich der Autor gegen Ende seines Systembaus, und zwar schon seit den frühen 1790er Jahren, den Bereichen den Anwendungen und Anwendungsmöglichkeiten seiner Philosophie zu, im Sinne der Verbesserung der Erkenntnis, der dazu nötigen Methoden, sowie der Verbesserung von Menschlichkeit, Sittlichkeit, Recht und Politik. Was die Anwendbarkeit der Transzendentalphilosophie für die Naturwissenschaften betrifft, übernimmt das Opus postumum den Abschluss, das aber auch eine Reihe von Schlussbemerkungen beinhaltet, die anderen Themenbereiche zugehören.
Heuristisch die volle Souveränität des Autors über sein Werk und über alle Strategien des Systembaus und Details der Gedankenführung anzunehmen bedeutet auch, dass mit Blick auf die eingangs genannte These von Kants Masterwissen über den Theoriebestand der Tradition davon auszugehen ist, dass Kant Schriften anderer Autoren in deren Originalsprache gelesen hat. Dies ist jedenfalls nicht auszuschließen, und tatsächlich geht aus keiner Quelle hervor, dass Kant des Englischen und Französischen nicht mächtig war. Für die Zwecke seines Vorhabens reichte eine Lesekompetenz völlig aus, denn Kant legt seine Philosophie in deutscher Sprache vor, wobei es vermutlich häufig keine einfache Entscheidung war, wie man ein englisches oder französisches Wort ins Deutsche übertragen sollte. Laut Jachmann verstand Kant Französisch, sprach es aber nicht.[103] Daraus kann nicht abgeleitet werden, Kant habe „das Französische nur unzureichend beherrscht“,[104] und es rechtfertigt in keiner Weise die Behauptung, Kant habe „von der Lektüre französischsprachiger Werke grundsätzlich Abstand“ genommen.[105] Ebenfalls ohne Beleg ist das Gerücht, Kant habe antike Autoren nicht im Original gelesen. Nachgewiesen ist, dass Kant eine griechisch-lateinische Ausgabe des aristotelischen Werks besessen hat.[106]
Dass er Übersetzungen französischer oder englischer Werke las, hängt auch mit einer Besonderheit des zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurses zusammen. Die Übersetzer gaben häufig Kommentare direkt den übersetzten Schriften bei. Diese Kommentare sind entweder ihre eigenen oder die anerkannter Autoren, wie z. B. im Falle der Übersetzung von Hales' Staticks die ins Deutsche übersetzten Anmerkungen Buffons, und die Anmerkungen sind mitunter länger als die Texte selbst.[107] Oft lohnt es sich, sie zur Kenntnis zu nehmen. Als Euler ein Werk Robins' zur Ballistik übersetzte, gab er umfangreiche eigene Anmerkungen bei, die entscheidende Verbesserungen der Theorie darstellten.[108] Stärker noch als Periodika stellten Übersetzungen zeitweise die Plattform für wissenschaftlichen Austausch dar. Und wenn die Autoren jener Epoche nicht untereinander hätten voraussetzen können, dass das Englische, Französische und Deutsche im Großen und Ganzen verstanden würde, wären solche Verfahren gar nicht sinnvoll gewesen. Auch der im Zeitalter der Gründung nationaler wissenschaftlicher Akademien offensichtliche Zweck, für die Reputation der eigenen Nation Ansprüche auf Priorität oder Verbesserung einer Theorie anmelden zu können, setzt eine wenigstens grobe Kenntnis der Sprache der Konkurrenznationen voraus. Ein Hinweis auf die allenthalben selbstverständliche Kompetenz des Französischen ist der Umstand, dass die Encyclopédie nie im Ganzen ins Deutsche oder Englische übersetzt wurde. Hans Heinz Holz unterstreicht, Französisch sei „den gebildeten Ständen im Deutschland des 18. Jahrhunderts vertraut“ gewesen;[109] Nachfragen nach Übersetzungen seien eher aus dem Bürgertum gekommen, das „noch nicht mit höherer literarischer Bildung aufgewachsen“ war.[110] Als Kant Johann Georg Hamann Übersetzungen aus dem Französischen vorschlug,[111] hat er möglicherweise Hamanns unglücklichem Werdegang abhelfen wollen.[112] – Solche Überlegungen zeigen, dass festgelegte Schemata für die Interpretation der philosophischen und historischen Forschung in der Tat Schaden zufügen können, indem sie den Blick auf nicht im Schema enthaltene Möglichkeiten der Erklärung verstellen.
Historische Analysen erklären Ereignisse anachron, teils in Rückschlüssen. Dies vermag nur der Historiker – die historische Person in ihrer eigenen, bedingten, diachronen Perspektive wäre dazu nicht in der Lage. Nun ist Kants Werkaufbau das Ergebnis eines Schaffens über einen größeren Zeitraum hinweg und als solches ist dieser Werkaufbau durchaus ein historisches Ereignis. Aber seine bislang als selbstverständlich angenommene Diachronizität muss mit Blick auf die Inszenierung der Argumentation und die theoriekonstitutiven Traditionsbezüge relativiert werden. Daher kann man sicherlich anhand genetischer Fragen zum Werkaufbau einzelne Aspekte der Werkplanung beleuchten, etwa die Tatsache, dass Kant auch neueste Veröffentlichungen oder Debatten zu berücksichtigen suchte, was sich auf Termine der Drucklegung ausgewirkt haben kann. Man kann aber meines Erachtens nicht ohne endlich einmal eine stichhaltige Rechtfertigung der Methode vorzulegen weiterhin behaupten, das Gesamtwerk könne man genetisch, aus einem Entwicklungsprozess des Autors heraus, explizieren.
Das Werk Kants setzt sich aus der Diskussion von Theorien und der darauf bezogenen Präsentation der eigenen Konzeption zusammen. So verfuhren auch schon Aristoteles, Plotin, Duns Scotus oder Hobbes. Hobbes legt mitunter Schriften als eine „Reihe hypothetischer Sätze“ an, „wobei das conditionatum des ersten Satzes als conditio des zweiten dient usf.“.[113] Kant erweitert solche Verfahren dadurch, dass er Theorien der philosophischen Tradition in einen eigens gestalteten erhellenden Kontext zu einander stellt. Dies nenne ich die „Panorama-Glossierung“ der philosophischen Tradition. Häufig werden mehrere Referenzen miteinander kombiniert, wobei die so glossierten Theorien durchaus verfeindet sein können, aber in zentralen Punkten eben Übereinstimmungen aufweisen, die Kant zu kritisieren gedenkt.
Logik, Metaphysik, Physik, Anthropologie, Transzendentalphilosophie, rationale Theologie und andere Disziplinen sind bei Kant in besonderer Weise miteinander verzahnt. Die für Gegenstände jeder möglichen Wissenschaft gültigen prinzipiellen und methodischen Grundlagen seiner Philosophie verweisen bei Kant auf die Bedingung der Möglichkeit dieser Grundlage, und das ist das transzendentale und sittliche Subjekt. Dies wird im Opus postumum, das den Aufbau der kritischen Metaphysik abschließt, bestätigt. Gleichwohl ist es nicht diese eine letzte Schrift, sondern das Werkganze, das zusammen mit dem kommentierten Traditionsbestand ein kritisch-metaphysisches Ganzes bildet, in dem durch hypothetische Argumente und Verrätselungen neben der Präsentation erarbeiteter Lehrstücke eine methodische Anweisung vorgelegt wird, die dem Leser nicht in erster Linie zeigt, WAS, sondern vielmehr: WIE vernünftiger Weise zu denken sei. Die einzelnen Schriften geben nur in einem systematisch verstandenen Bezug zueinander das Ganze der Kantischen Philosophie. Wenn strikte Begriffsdisjunktionen zur Unterscheidung von Untersuchungsschwerpunkten eingeführt werden, wird ihre Verbindung oder Integration immer erst später, und das bedeutet im Werkverlauf immer auch: methodenreflexiv, begründet, aber häufig auch dramaturgisch und rhetorisch als überraschend inszeniert. Z. B. wird erst zwischen der Kausalität der Natur und der aus Freiheit strikt getrennt, später aber wird über diesen scheinbaren Hiatus ein Brückenschlag inszeniert, der in Erstaunen versetzen soll.[114] Ebenso verfährt Kant mit zunächst zweideutig oder unscharf verwendeten Begriffen, deren Präzisierung ebenfalls später, also methodenreflexiv, erfolgt.[115] Mit Blick auf durchaus spannend und lustig zu lesende Schriften Kants halte ich es für keineswegs ehrenrührig, die Komposition des Gesamtwerks unter Einbezug von Interpretamenten aus anderen Bereichen, zum Beispiel mittels ‚Spannungsbögen‘, ‚retardierenden Momenten‘ oder ‚Cliffhangern‘ neu auszurichten. Kants Argumentation ist für diejenigen Teile, die mittels Irritation und Polemik als Quaestiones gestaltet sind, gemeinsam mit Antworten und Auflösungen aus späteren Schriften zu lesen. Eine konzeptionelle Offenheit der Schriften und dramaturgisch inszenierte, provokante Strategien der Darbietung prägen den Werkaufbau. Kant schreibt somit, je nach Zugehörigkeit einer Passage, hypothetisch-prüfend, aber eben auch definitorisch entscheidend. Für die Interpretation bedeutet das: nur ausgehend von den mehrschichtigen Funktionen einer Schrift im Gesamtzusammenhang können Strategien ihrer Konzeption erkannt und hermeneutische Vorgaben für das Verstehen einzelner Kapitel, Paragraphen, Anmerkungen, Sätze oder dem Grad der Bestimmtheit oder Unterbestimmtheit von Begriffen gemacht werden.
Nicht nur im Falle Kants, auch auch im Falle Gassendis, La Mettries oder Diderots, präferiert die Interpretationsgeschichte die Vorstellung der schrittweisen Entwicklung und Veränderung des Denkens des Autors statt einer die Ausführung steuernden Werkplanung. Skeptische Denker legen nacheinander Schriften vor, die aufeinander bezogene Teile eines Werkganzen darstellen. Prima facie erscheinen sie eher voneinander getrennt, als miteinander verbunden, denn inhaltlich finden Absetzungen statt. Aber sich ironisch auf eigene frühere Schriften zu beziehen oder diese in Frage zu stellen zeigt einen verfahrenstechnisch gewendeten Grundgedanken des Skeptizismus, der Sachkritik in einer Art inszenierter Selbstkritik ausdrückt. Werkdeutungen, die diese Kontinuitäten betonen, liegen für das Werk Gassendis, La Mettries oder Diderots bereits vor.[116]
[1] Dieser Überblick enthält leicht gekürzte Ausschnitte aus Kants Gesamtwerk in neuer Perspektive. Aus Kants Druckschriften wird (nach der derzeitigen Akademie-Ausgabe) ohne Bandangabe zitiert; aus der Critik der reinen Vernunft (CrV) wird wie üblich nach den Originalen zitiert.
[2] AA Bd. 18, 69. – Vgl. dazu u.a. Giorgio Tonelli: „Die Umwälzung von 1769 bei Kant“, in: Kant-Studien 54 (1963), 369-375; Josef Schmucker: „Was entzündete in Kant das große Licht von 1769?“, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 58 (1976), 292-434; Lothar Kreimendahl: Kant – Der Durchbruch von 1769, Köln 1990; Norbert Hinske: „Prolegomena zu einer Entwicklungsgeschichte des Kantschen Denkens. Erwiderung auf Lothar Kreimendahl“, in: Robert Theis et al. (Hg.): De Christian Wolff à Louis Lavalle: métaphysique et histoire de la philosophie, Hildesheim u. a. 1995, 102-122.
[3] Vgl. Wolff, Deutsche Logik, Vorrede zur ersten Auflage (1713), 109, sowie Wolff, Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schrifften, die er in deutscher Sprache von den verschiedenen Theilen der Weltweisheit heraus gegeben […] (1726), 213 f. Hinske fragt: „War sich Kant dieser Parallelen bewußt, hat er Wolffs Lieblingswort am Ende gar mit Absicht aufgenommen, oder handelt es sich hier nur um einen dummen Zufall? Schon allein die Beantwortung dieser Fragen wäre für die Interpretation der Reflexion 5037 nicht ohne Belang“ (Hinske, a. a. O., 105).
[4] Briefe, Bd. X, 50 (Brief vom 29.10.1765 an C. J. M. Freiherr von Fürst und Kupferberg; Bd. X, 49 f.).
[5] Das Kündigungs-Ersuch Kants an König Friedrich II. datiert vom 14.4.1772 (Bd. X, 135 f.) und wird so begründet: „Da mir nun seit der Zeit das Amt eines Professoris Ordinarii bey dieser Universität, im Jahr 1770 allerhuldreichst ertheilet worden und es nicht allein bis daher ungewöhnlich ist, daß die Stelle eines Subbibliothecarii von einem Professore Ordinario bekleidet werde, sondern sich auch solche mit den Obliegenheiten dieses letzteren Posten und der Eintheilung meiner Zeit nicht wohl vereinigen läßt“. Kant waren auch über die Buchhandlung Kanter Neuerscheinungen leicht zugänglich. „Kant las unbändig viel, nämlich ungebunden aus dem Buchladen“ (Rudolf Reicke (Hg.), Kantiana. Beiträge zu Immanuel Kants Leben und Schriften, Königsberg, Theile; Separat-Abdrucke aus den Neuen Preußischen Provinzialblättern; Teil 1, 1860, 16). „In dem jedesmaligen halbjährigen Meßkatalog strich er sich, sowie er ihn bekam, fast alle Reisebeschreibungen, chemische und physische und andere Schriften […] an, und so las er nun alles der Reihe nach durch“ (Reicke, a. a. O., 18).
[6] Die „Gebildeten Europas“ waren, so Albert Heinekamp, „überrascht und verwundert; denn hier war einem Außenseiter gelungen, was vor ihm Fachleute wie der Leibniz-Nachfolger Johann Georg Eckhart, der Leibniz-Korrespondent Louis Bourguet, der kenntnisreiche Historiograph des Leibnizianismus Carl Günther Ludovici, der streitbare Leibniz-Anhänger Samuel König u.a. vergebens versucht hatten“ (Albert Heinekamp: „Louis Dutens und die erste Gesamtausgabe der Werke von Leibniz“, in: Leibniz–Werk und Wirkung. Akten des IV. Internationalen Leibniz-Kongresses, Wiesbaden 1983, 263-272, hier: 263).
[7] Leibniz sei vergröbert und, etwa durch Voltaire, „in ein falsches Licht“ gerückt worden (Alexandra Lewendoski (Hg.): Leibnizbilder im 18. und 19. Jahrhundert, Wiesbaden 2004; darin: dies., „Reaktionskette eines Leibnizverständnisses: Clarke, Newton, Voltaire, Kahle“, 121-145, hier: 121).
[8] Heinekamp, a. a. O., 270.
[9] Heinekamp, a. a. O., 266.
[10] Briefe, Bd. XI, 186 (Brief vom 5.8.1790 an A. G. Kästner).
[11] „Seit etwa einem Jahre bin ich […] zu demienigen Begriffe gekommen welchen ich nicht besorge iemals ändern, wohl aber erweitern zu dürfen, und wodurch alle Art metaphysischer quaestionen nach ganz sichern und leichten criterien geprüft und, in wie fern sie auflöslich sind oder nicht, mit Gewisheit kan entschieden werden“ (Brief vom 2.9.1770 an J. H. Lambert; Bd. X, 96-99; hier: 97).
[12] Ein Beispiel für eine solche Bezichtigung: "Diese Gedanken können der Entwurf zu einer Betrachtung seyn, die ich mir vorbehalte. Ich kann aber nicht leugnen, daß ich sie so mittheile, wie sie mir beyfallen, ohne ihnen durch eine längere Untersuchung ihre Gewißheit zu verschaffen. Ich bin daher bereit, sie wieder zu verwerfen, so bald ein reiferes Urtheil mir die Schwäche derselben aufdecken wird" (Gedanken über die Wahre Schätzung der Lebendigen Kräfte […], 25).
[13] Vgl. den Briefentwurf an M. von Herbert (Bd. XI, 331-334) oder den Brief an J. H. Tieftrunk vom 11.12.1797 (Bd. XII, 222-225).
[14] Vorländer: Immanuel Kant. Der Mann und das Werk, Leipzig 1924, 2 Teile; II, 112. Kant schrieb Briefe, so Vorländer, nicht in Form "tagebuchartiger Bekenntnisse, wie die Empfindsamen sie liebten, oder der leidenschaftlichen kurzen Zettel oder 'Wische', wie sie zur Geniezeit Mode waren", sondern als "Gelegenheitsbriefe, d. h. zu einem bestimmten gerade vorliegenden […] Zweck" (ebd).
[15] Vgl. dazu: Der senile Kant? – Zur Widerlegung einer populären These (2018).
[16] Marie Rischmüller (Hg.): Kant, Bemerkungen in den 'Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen', neu herausgegeben und kommentiert, Hamburg 1991, XII. Diese Notate seien somit auch nicht im Sinne eines wissenschaftlichen 'Tagebuchs' zu lesen, wie Benno Erdmann vorgeschlagen hatte (Benno Erdmann: Reflexionen Kants zur kritischen Philosophie. Aus Kants handschriftlichen Aufzeichnungen, Bd 1: Reflexionen Kants zur Anthropologie; Leipzig 1882; neu hg. v. N. Hinske, Stuttgart-Bad Cannstatt 1992, 30).
[17] Rischmüller, a. a. O., XII, mit Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, 132 f.
[18] „Ich darf ohne mich des Eigendünkels schuldig zu machen, wohl versichern daß je länger ich auf meiner Bahn fortgehe desto unbesorgter ich werde es könne jemals ein Wiederspruch […] meinem System erheblichen Abbruch thun“ (Brief vom 28. und 31.12.1787 an C. L. Reinhold; Bd. X, 513-516; hier: 514).
[19] A.a.O., 514.
[20] Brief vom 23.8.1749, eventuell an A. Haller: Bd. X, 1 f., hier: 2.
[21] Brief vom 7.8.1783 an Chr. Garve: Bd. X, 336-343; hier: 338 f.
[22] Brief vom 13.9.1785 an Chr. G. Schütz: Bd. X, 406 f.; hier: 407.
[23] Brief vom 7.4.1786 an J. Bering: Bd. X, 440 ff.; hier: 441.
[24] Brief vom 28. und 31.12.1787 an C. L. Reinhold; Bd. X, 513-516; hier: 514, bereits zitiert.
[25] Brief vom 26.5.1789 an M. Herz: Bd. XI, 48-55; hier: 49.
[26] Brief vom 15.10.1789 an F. Th. de la Garde: Bd. XI, 97 f.; hier: 97.
[27] Brief vom 11.12.1797 an J. H. Tieftrunk: Bd. XII, 222-225; hier: 222.
[28] Brief vom 24.12.1787 an M. Herz: Bd. X, 512.
[29] Hans-Jürgen Engfer: Empirismus versus Rationalismus? Kritik eines philosophiegeschichtlichen Schemas, Paderborn u.a., 1996, 23, mit Verweis auf Nicolaus Tetens: Über die allgemeine speculativische Philosophie (1775), 68 ff. – Zu Kant vgl. Prolegomena § 58 (360) oder auch CrV A.95.B.128.
[30] Vgl. Engfer, a. a. O., 15.
[31] Vgl. Engfer a. a. O., besonders Kapitel II.
[32] Hans-Joachim Waschkies: Physik und Physikotheologie des jungen Kant. Die Vorgeschichte seiner Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels, Amsterdam 1987, 514, bezugnehmend auf die Weigerung der Interpreten, andere als die von Kant selbst genannten Schriften zur Erläuterung des Hintergrundes seiner Theoriebildung heranzuziehen.
[33] Helmuth Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie, Berlin u.a. 1928, 3.
[34] Ernst Cassirer: Kants Leben und Lehre, Berlin 1918: 43.
[35] Benno Erdmann: Reflexionen Kants zur kritischen Philosophie. Aus Kants handschriftlichen Aufzeichnungen, Bd 2: Reflexionen Kants zur Kritik der reinen Vernunft; Leipzig 1884, darin: Vorwort, XXIV- XLVIII; neu hg. v. N. Hinske, Stuttgart-Bad Cannstatt 1992, XXXVII. Vgl. auch Erich Adickes: „Die bewegenden Kräfte in Kants philosophischer Entwicklung und die beiden Pole seines Systems“, in: Kant-Studien 1 (1897), 9-59, 161-196 und 352-415; Klaus Reich: „Vorwort“ zu seiner Ausgabe von: Kant, De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, Hamburg 1958, VI – XVI, hier: VIII f.
[36] Briefe, Bd. XII, 257 ff., hier: 257 f.
[37] Beim flüchtigen Durchblättern des Buches Garves sei er „auf die Note S. 339 gestoßen“ und müsse protestieren: „Nicht die Untersuchung vom Daseyn Gottes, der Unsterblichkeit etc. ist der Punct gewesen, von dem ich ausgegangen bin, sondern die Antinomie der r. V.: „Die Welt hat einen Anfang - : sie hat keinen Anfang etc.“ (Briefe, Bd. XII, 258).
[38] Brief vom 8.4.1766 an Moses Mendelssohn: Bd. X, 69-73; hier: 71.
[39] Robert Sommer: Grundzüge einer Geschichte der deutschen Psychologie und Aesthetik von Wolff-Baumgarten bis Kant-Schiller, Würzburg 1892, 280.
[40] Kuno Fischer: Das Streber- und Gründerthum in der Literatur […], Stuttgart, 1884, 30 f.
[41] Der wahre Kritizismus Kants sei in keiner seiner Schriften erreicht worden (Windelband: „Über die verschiedenen Phasen der Kantischen Lehre vom Ding-an-sich“, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie I, 242-266, hier: 261).
[42] Christian Ritter: Der Rechtsgedanke Kants nach den frühen Quellen, Frankfurt am Main 1971, 339.
[43] Lutz Koch: Naturphilosophie und rationale Theologie: Interpretationen zu Kants vorkritischer Philosophie, Köln 1971, 1.
[44] Harald Höffding: „Die Kontinuität im philosophischen Entwicklungsgange Kants“, in: AfGP VII (1894), 173-192, hier: 176, bezogen auf den Hinweis Kants auf Hume (Prolegomena, Vorwort).
[45] Vgl. z. B. zum § 14 der CrV: Gerold Prauss: "Kants kritischer Begriff von Wirklichkeit", in: Proceedings of the Sixth International Kant Congress (1985), hg. v. G. Funke et al., Washington 1991,I, 71-87, hier: 72 f.
[46] Z. B. Robert Reininger: Kants Lehre vom inneren Sinn und seine Theorie der Erfahrung, Wien 1900, Vorrede; Wolfgang Stegmüller: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie I: Erklärung. Begründung. Kausalität, Heidelberg u.a. 1969, 1; Gerhard Knauss: “Extensional and Intensional Interpretation of Synthetic Propositions A Priori”, in: Akten des 4. Internat. Kant-Kongresses (1974), hg. v. Gerhard Funke, Berlin 1975, 356-361, hier: 357.
[47] Gottfried Martin sieht z. B. „sieben Bedeutungen“ der Begriffe des analytischen und synthetischen Urteils: „drei vorkantische Bedeutungen, zwei vorkritische Bedeutungen und zwei kritische Bedeutungen“ (Gottfried Martin: Immanuel Kant. Ontologie und Wissenschaftstheorie [Köln 1951], 4. Auflage, Berlin, 284)
[48] Dieter Henrich: „Kants Denken 1762/63. Über den Ursprung der Unterscheidung analytischer und synthetischer Urteile“, in: Heinz Heimsoeth u.a. (Hg.): Studien zu Kants philosophischer Entwicklung, Hildesheim u.a 1967, 9-38, hier: 9 f.
[49] Ein „Zusammenhang aller Überlegungen Kants“ sei als „Rekonstruktion“ zu erarbeiten (Henrich, a. a. O., 10).
[50] So lobt Windelband Kuno Fischer: „Die Porträts, die er von Bacon und Descartes, von Spinoza und Leibniz, von Kant, Fichte, Schelling und Schopenhauer gezeichnet hat, gehören zu den besten Erzeugnissen der biographischen Litteratur: [...] [es] heben sich die Gestalten der Denker mit kräftiger Lebenswahrheit heraus“ (Windelband: „Kuno Fischer und sein Kant“, in: Kant-Studien 2 (1898), 1-10, hier: 3). Fischer lasse die philosophischen Systeme „organisch entstehen“ (a.a.O., 4).
[51] Herbert Schnädelbach, „Nachwort“, in: Karl Vorländer, Geschichte der Philosophie, Bd III: Die Philosophie der Neuzeit bis Kant, Leipzig 1903; neu hg. v. Herbert Schnädelbach, Reinbek bei Hamburg 1990, 598-611, hier: 603.
[52] Karl Rosenkranz: Neue Studien, Bd. 2: Studien zur Literaturgeschichte, Leipzig 1875, 46.
[53] Johann Eduard Erdmann: Versuch einer wissenschaftlichen Darstellung der Geschichte der neuern Philosophie, Bd. 6, Leipzig 1853, 554. Vgl. Manfred Kuehn: „Kant's Critical Philosophy and Its Reception – the First Five Years (1781-1786)”, in: Paul Guyer (Hg.): The Cambridge Companion to Kant and Modern Philosophy, Cambridge 2006, 630-663; vgl. auch Lutz-Henning Pietsch: Topik der Kritik. Die Auseinandersetzung um die Kantische Philosophie (1781-1788) und ihre Metaphern, Berlin u.a. 2010.
[54] Johann Eduard Erdmann: Versuch einer wissenschaftlichen Darstellung der Geschichte der neuern Philosophie, Bd. 5, Leipzig 1848, 265.
[55] Windelband: Fischer und sein Kant, 8.
[56] Adickes: Kant als Naturforscher, 2 Bde., Berlin 1924/1925; 2. Bd., 14.
[57] Es sind folgende Studien: Rosenkranz: Geschichte der Kant'schen Philosophie, Leipzig 1840; Fischer: Immanuel Kant und seine Lehre, 1. Buch: Entstehung und Grundlegung der kritischen Philosophie; Heidelberg, 1860, hier benutzt: 6. Auflage, 1928; Cohen: Systematische Begriffe in Kants vorkritischen Schriften nach ihrem Verhältnis zum Kritischen Idealismus, Berlin 1873; Dieterich: Die Kant'sche Philosophie in ihrer inneren Entwicklungsgeschichte, 2 Teile, Freiburg u.a. 1885; Thiele: Die Philosophie Immanuel Kant's nach ihrem systematischen Zusammenhange und ihrer logisch-historischen Entwicklung dargestellt und gewürdigt, 2 Bde., Halle 1882, 1887.
[58] Cassirer: Kants Leben und Lehre, Berlin 1918 u.ö.; Vorländer: Immanuel Kant. Der Mann und das Werk, Leipzig 1924; de Vleeschauwer: La déduction transcendentale dans l'Oeuvre de Kant, 3 Bde., Amsterdam u.a. 1934-37; auch als L'évolution de la Pensée Kantienne. L'histoire d'une doctrine, Paris 1939; Kaulbach: Immanuel Kant, Berlin 1982.
[59] Höffding (s.o.); Wolters: Artikel „Kant“ in: Jürgen Mittelstraß (Hg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 2 (1995), 343-358; Irrlitz: Kant-Handbuch. Leben und Werk, Stuttgart u.a. 2002; Kuehn: Kant. A Biography, Cambridge 2001 resp. Kant. Eine Biographie, übers. v. Martin Pfeiffer, München 2003.
[60] Z. B. Paul Boehm: Die vorkritischen Schriften Kants. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Kantischen Philosophie, Straßburg 1906; Norbert Hinske: Kants Weg zur Transzendentalphilosophie. Der dreißigjährige Kant, Stuttgart u. a. 1970; Martin Schönfeld: The Philosophy of the Young Kant. The Precritical Project, Oxford 2000.
[61] Bei J. G. Hamann, F. H. Jacobi, J. G. Herder, S. Maimon, C. L. Reinhold, W. T. Krug, F. Schiller, J. S. Beck, G. E. Schulze, J. G. Fichte, F. Bouterwek, F. D. E. Schleiermacher, G. W. F. Hegel, J. H. Tieftrunk, F. Schlegel, J. F. Fries, F. W. J. Schelling, J. F. Herbart, K. W. F. Solger, K. C. F. Krause, A. Schopenhauer u.a. – Vgl. Johann Eduard Erdmann: Versuch einer wissenschaftlichen Darstellung der Geschichte der neuern Philosophie, Bd. 5 und 6, Leipzig 1848 u. 1853; Windelband: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 1891; Hans Lenk: Kritik der logischen Konstanten. Philosophische Begründungen der Urteilsformen vom Idealismus bis zur Gegenwart, Berlin 1968.
[62] Vgl. Lutz Geldsetzer: "Der Methodenstreit in der Philosophiegeschichtsschreibung 1791-1820", in: Kant-Studien 56 (1966), 519-527, mit vielen Verweisen.
[63] Vgl. Jakob Friedrich Fries: Die Geschichte der Philosophie dargestellt nach den Fortschritten ihrer wissenschaftlichen Entwickelung; Bd 1, Halle 1837; Bd 2, Halle 1840 – in: Ders., Sämtliche Schriften, Bd. 18 und 19, hg. v. Gert König, Lutz Geldsetzer, Aalen 1969, besonders: § 11 ff. Vgl. auch Heinrich-Moritz Chalybäus: Historische Entwicklung der speculativen Philosophie von Kant bis Hegel, Dresden u.a. 1837.
[64] Vgl. Andreas Urs Sommer: "Historischer Pyrrhonismus und die Entstehung der spekulativ-universalistischen Geschichtsphilosophie", in: Carlos Spoerhase u.a. (Hg.): Unsicheres Wissen. Skeptizismus und Wahrscheinlichkeit 1550-1850, Berlin 2009, 201-214.
[65] Es gebe Perioden der „Gährung“ im Denken (Rosenkranz: Geschichte, 4). Vgl. Rosenkranz: Neue Studien, 89.
[66] „Den eigentlichen Mittelpunct […] bildet […] bekanntlich die Kritik der reinen Vernunft und um sie gruppirt sich der Zeit nach theils vorangehend, theils nachfolgend eine Reihe kleinerer Schriften“ (Hartenstein, Vorrede zu seiner ersten Kant-Werkeausgabe, Bd. 1, Leipzig 1838: V-XXX, hier: XV).
[67] „Man hat zu wenig darauf geachtet, in Kant's individueller Entwickelung die verschiedenen Epochen zu sondern“ (Rosenkranz, Geschichte, 101). Vgl. dazu besonders Steffen Dietzsch: „Karl Rosenkranz und die Geschichte der Kantschen Philosophie“, in seiner Ausgabe von: Rosenkranz, Geschichte, Berlin 1987, 417-431.
[68] Fries führt eine Reihe von Mängeln auf, die in Kants Konzeption geblieben seien (Fries, Geschichte der Philosophie, Bd. 2, § 187).
[69] Dies setzt sich fort bei: Alois Riehl: Der philosophische Kritizismus. Geschichte und System, Bd. I: Geschichte des philosophischen Kritizismus, Leipzig 1876; Erich Adickes: Kants Systematik als systembildender Faktor, Berlin 1887; Friedrich Paulsen: Immanuel Kant. Sein Leben und seine Lehre, Stuttgart 1898, der von ‚Systemsucht‘ ausgeht; bei Vorländer, der fehlende „Symmetrie“ im Aufbau beanstandet (Immanuel Kant, I, 101), auch bei Norman Kemp-Smith, Klaus Reich und anderen.
[70] „Nur aus Kants Altersschwäche ist mir seine ganze Rechtslehre, als eine sonderbare Verflechtung einander herbeiziehender Irrtümer […] erklärlich“ (Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, EA 1819, in: Werke, Bd II, Zürich 1977, 4. Buch, § 62).
[71] Kant habe durch die 2. Auflage der ersten Kritik „sein Werk verstümmelt, verunstaltet, verdorben“. Der Grund sei „Menschenfurcht, entstanden durch Altersschwäche“ gewesen (Brief Schopenhauers an Rosenkranz (24.8.1837), abgedruckt in: Rosenkranz: „Vorrede“ zu seiner Kant-Werkeausgabe, Bd. 1, Leipzig 1838, VII – XXXIX, hier: XI). Rosenkranz erkennt Schopenhauers Leistungen an („Vorrede“, X-XI), kritisiert ihn aber auch deutlich (Neue Studien, 45-60).
[72] Friedrich Wilhelm Schubert, Kants Leben, Bd XI/2 der Rosenkranz-Werkausgabe, Leipzig 1842.
[73] Fischer, Kant und seine Lehre I, 11.
[74] Fischer, Kant und seine Lehre I, 129.
[75] „Die chronologische Reihenfolge der […] Schriften ist […] zugleich die innere und sachliche“ (Fischer, Kant und seine Lehre I, 147).
[76] Vgl. Cohen: Systematische Begriffe in Kants vorkritischen Schriften nach ihrem Verhältnis zum Kritischen Idealismus (1873), in: Hermann Cohens Schriften zur Philosophie und Zeitgeschichte, 2 Bde., hg. v. A. Görland, E. Cassirer, Berlin 1928, Bd. 1, 276-335, hier: 280 f.
[77] Vgl. Rosenkranz, „Vorrede“, XIII. Es sei nicht leicht „den chronologischen Fortgang der Entwickelung Kant's mit dem objectiven Zusammenhang der einzelnen Schriften unter sich zu vereinigen“ (a.a.O., XI f.). Eine rein „chronologische Folge“ müsse, „da Kant einen und denselben Gegenstand zu verschiedenen Zeiten immer von Neuem aufgenommen hat, das unerträglichste Durcheinander herbeiführen. Eine nur sachliche, gleichsam systematische Anordnung würde dagegen wieder pedantisch und gezwungen erscheinen“. Beides sei „miteinander auszugleichen“ (a. a. O., XII). Hartenstein ordnet dann seine erste Werkausgabe inhaltlich, die zweite chronologisch.
[78] Windelband, Fischer und sein Kant, 5.
[79] Cohen, a.a.O., 281. „Es kann nicht als begründete Methode erkannt werden, wenn behauptet wird, die Kantische Lehre lasse sich nur aus den vorkritischen Schriften begreifen. Die Kantische Lehre beruft sich nicht auf jene früheren Arbeiten und bedarf derselben nicht zu ihrer Begründung.“ (Cohen a. a, O., 279).
[80] Cohen a. a. O., 328.
[81] Kaulbach etwa will, wie schon die ersten Bearbeiter, „die Keime erkennbar machen, aus denen sich [Kants] eigentliche Philosophie entwickelt“ habe (Kaulbach, a. a. O., Vorwort). Irrlitz fordert zwar, man müsse „den vereinfachenden Evolutionismus aufeinander folgender Reifestadien“ ebenso vermeiden wie „die Isolierung der Problemstellungen verschiedener Denk-Phasen und einzelner Schriften Kants“ (Irrlitz, a. a. O., 46 f.); aber seine Studie erbringt keine neue Leitidee zum Zusammenhang der Schriften.
[82] Fischer, Kant und seine Lehre I, 130 u. passim.
[83] Engfer, a. a. O., 31.
[84] Auch Mirbt bezeichnet die frühen Schriften mit Blick auf die Methode Kants als "Vorübungen (prolusiones)" (Ernst Sigismund Mirbt: Kant und seine Nachfolger oder Geschichte des Ursprungs und der Fortbildung der neueren deutschen Philosophie, Jena 1841, 58); in ihnen lägen "Keime und Andeutungen auf sein vollendetes System" (a.a.O., 57).
[85] In seiner Antrittsvorlesung (Kuno Fischer: Clavis Kantiana: qua via Immanuel Kant philosophiae criticae elementa invenerit, Jena 1858) als notiones antecriticae (10) oder "ante criticam scripto" (9).
[86] Dies vertritt neben Benno Erdmann etwa auch De Vleeschauwer: "J'ai personnellement la ferme conviction que le tableau de la vie intellectuelle de Kant qu'on va lire est plus exact à cause des moyens méthodologiques mis en œuvre" (De Vleeschauwer, L'évolution, 3).
[87] Hinske, Kants Weg, 11 f. Vgl. auch Hinske, Prolegomena zu einer Entwicklungsgeschichte (s.o. Anm. 2).
[88] Vgl. Schönfeld: “Recent studies indicate that Kant's philosophical development was far more unified […], and, in terms of its stages, involved deeper continuities […] than previously recognized. […] The new picture of Kant's development indicates that his intellectual trajectory was not as fractured and erratic as scholarship used to assume” (Schönfeld: “Kant's Philosophical Development”, in: Edward N. Zalta (Hg.): The Stanford Encyclopedia of Philosophy, forthcoming URL = http://plato.stanford.edu/archives/win2012/entries/kant-development/ (Winter 2012 Edition), mit Verweis auf Schönfeld, The Precritical Project).
[89] Höffding, a. a. O., 176.
[90] Mirbt, a. a. O., 62.
[91] Cohen, a. a. O., 278.
[92] Schon Cohen (a. a. O., 303 f.) kritisiert das. Kants Wortlaut etwa: „Ich habe über die Natur unseres Erkenntnisses in Ansehung unserer Urteile von Gründen und Folgen nachgedacht“ (Negative Größen: 203) gab Fischer zuerst wieder als „Ich habe über die Natur unserer Erkenntnisse nachgedacht“ (zitiert nach Cohen, a. a. O., 304), reparierte dies in Folge der Eingabe Cohens dann aber stillschweigend in den späteren Auflagen (Fischer, Kant und seine Lehre I, 231).
[93] Fischer, Kant und seine Lehre I, 151 f.
[94] Gedanken von der Wahren Schätzung der Lebendigen Kräfte […]: 23.
[95] Siehe dazu Kants Gesamtwerk in neuer Perspektive, Kapitel 7.D.
[96] Gedanken von der Wahren Schätzung der Lebendigen Kräfte: 19.
[97] "Hingegen muß ich meine ganze Kunst anwenden, um die Aufmerksamkeit des Lesers etwas länger bey mir aufzuhalten. Ich muß mich ihm in dem ganzen Lichte der Überzeugung darstellen, das meine Beweise mir gewähren, um ihn auf die Gründe aufmerksam zu machen, die mir diese Zuversicht einflößen" (Gedanken von der Wahren Schätzung der Lebendigen Kräfte: 19 f.).
[98] Gegenden, 378; Fischer, Kant und seine Lehre I, 152.
[99] "Vergleichen wir diese Urteile, welche Kants erste Periode begrenzen, so halten beide den Raum für etwas Objektives" (Fischer, Kant und seine Lehre 1, 151 f.)
[100] Gegenden, 378.
[101] Siehe dazu Kants Gesamtwerk in neuer Perspektive, Kapitel 7.G.
[102] Windelband, Fischer und sein Kant, 8.
[103] Reinhold Bernhard Jachmann: Immanuel Kant geschildert in Briefen an einen Freund, Königsberg 1804: 138.
[104] Cf. z. B. Kreimendahl: „Kants vorkritisches Programm der Aufklärung“, in: Heiner F. Klemme (Hg.): Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung, Berlin 2009, 124-142, hier: 126.
[105] Kreimendahl, a. a. O., 126, Anm., mit Verweis auf Waschkies, a. a. O., 541 f., Anm.
[106] Arthur Warda: Immanuel Kants Bücher. Mit einer getreuen Nachbildung des bisher einzigen bekannten Abzuges des Versteigerungskataloges der Bibliothek Kants, Berlin 1922.
[107] Vgl. z. B. Christian Garves kommentierte Übersetzung von Aristoteles, Ethik, 2 Bde, 1798-1801; vgl. Johann Christian Eschenbachs Sammlung, in denen seine Übersetzung von Berkeleys A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge, Dublin 1710, enthalten ist (Sammlung der vornehmsten Schriftsteller die die Würklichkeit ihres eigenen Körpers und der ganzen Körperwelt läugnen. Enthaltend des Berkeleys Gespräche zwischen Hylas und Philonous und des Colliers Allgemeinen Schlüssel, übersetzt und mit widerlegenden Anmerkungen versehen nebst einem Anhang Worin die Würklichkeit der Körper erwiesen wird, Rostock 1756).
[108] Vgl. die Einleitung des Herausgebers Friedrich Robert Scherrer zu Euler: Neue Grundsätze der Artillerie. Aus dem Englischen des Herrn Benjamin Robbins übersetzt und mit vielen Anmerkungen versehen, Berlin 1745.
[109] Hans Heinz Holz: „Johann Christoph Gottsched: Leibniz' Integration in die Bildung der bürgerlichen Aufklärung“, in: Lewendoski, Leibnizbilder, Wiesbaden 2004, 107-119, hier: 110. "Selbstverständlich konnten sie die Theodicee im französischen Original lesen" (ebd.).
[110] Holz, a. a. O., 110.
[111] Hamann hatte einem Vorschlag Kants folgend einige Artikel aus der Encyclopédie übersetzt. Vgl. Hamanns Brief vom 27.7.1759: Bd. X, 7-16.
[112] Kant vermittelte Hamann im Jahre 1767 eine Stelle als Übersetzer bei der preußischen Zollverwaltung. Auch für andere, etwa für Jachmann oder Kiesewetter, verwendet er sich, dies geht hervor aus Briefen an Wolke (28.3.1776), Reusch (13.6.1785), von Hippel (29.9.1786; 2.9.1787; 6.1.1790; 28.9.1792); Graf von Finkenstein (7.6.1788); J. S. Beck (9.5.1791); Borowski (16.9.1791); Linck (15.4.1793); G. H. L. Nicolovius (16.8.1793); Hahnrieder (16.4.1796); Kiesewetter (28.6.1796) sowie aus Briefentwürfen (XI.453; XII.137 f.; XII.188 f.; XII.189 f.; XII.350). – Die Dankbarkeit, die Kant darum entgegengebracht wurde, zeigt sich z. B. bei J. H. I. Lehmann, der Kant mit Würsten und Obst von Göttingen aus versorgt (XII.274 u. 327 f.), oder bei J. L. von Heß (XII.334 f.).
[113] Wolfgang Röd: Geometrischer Geist und Naturrecht. Methodengeschichtliche Untersuchungen zur Staatsphilosophie im 17. und 18. Jahrhundert, Abhandlungen d. Bayer. Akademie d. Wissenschaften, Philos.-hist. Klasse, Heft 70, München 1970, 27.
[114] Vgl. Siegfried Blasche: „Vorbemerkung“, in: Forum für Philosophie (Hg.): Übergang. Untersuchungen zum Spätwerk Immanuel Kants, Frankfurt am Main 1991, vii-xxvi.
[115] Kant verwende „nahezu alle erkenntnistheoretisch relevanten Grundbegriffe“ in der Einleitung der Ersten Critique A in einer „notorischen Un- bzw. Unterbestimmtheit“ (Konrad Cramer: Nicht-reine synthetische Urteile a priori. Ein Problem der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants, Heidelberg 1985: 19).
[116] Zu Gassendi: Wolfgang Detel: Scientia rerum natura occultarum: methodologische Studien zur Physik Pierre Gassendis, Berlin 1978; zu La Mettrie: Birgit Christensen: Ironie und Skepsis: das offene Wissenschafts- und Weltverständnis bei Julien Offray de LaMettrie, Würzburg 1996; zu Diderot: Kristin Reichel: Diderots Entwurf einer materialistischen Moral-Philosophie (1745-1754): methodische Instrumente und poetologische Vermittlung, Würzburg 2012.