Verlaufszitation zum Thema: Bewegung, Veränderung, Kausalität
Für eine adäquate Untersuchung der kantischen Behandlung der Kausalität sowie seiner strikten Trennung zwischen zeitlicher Kausalität (Naturkausalität) und nicht-linearzeitlicher Kausalität (Kausalität aus Freiheit) muss berücksichtigt werden, dass Kant jeweils die Fragestellung viel größer aufspannt und ihre Behandlung über eine ganze Reihe von Schriften führt. Dabei ist die Sollens-Thematik aus der Grundlegung und der Critik der practischen Vernunft sowie ihre Anreicherung durch die ganze Bandbreite der Zweckbegriffe in der Critik der Urtheilskraft der Schlüssel für das Verständnis der nicht-linearzeitlichen Kausalität eines nexus finalis. Nur ausgehend davon, also von der Zwecksetzung und allen ihren Implikationen (z. B. dem Pflichtbegriff), kann man letztlich m.E. die Festlegungen und Gedankenführungen aus der Critik der reinen Vernunft vollumfänglich einsehen.
Im Folgenden stelle ich ausgehend von der merkwürdigen, inhaltlich gegensinnigen, Präsentation der beiden (hier am Anfang zitierten) Sätze aus der Critik der reinen Vernunft (B 3 und B 5) einen Ausschnitt der gesamten Themenlinie dar.
Aufgrund der Tatsache, dass die zweite Auflage der Critik der reinen Vernunft Passagen der ersten Auflage unverändert enthält, scheint in denjenigen Themenlinien, die gewissermaßen erst in der zweiten Auflage dieser Schrift als solche in Szene gesetzt werden, die Chronologie nicht mehr zu stimmen. Denn die Chronologie ist für das genaue Nachvollziehen eines inszenierten Gedankenganges, der eine genaue Argumentation sein soll, ja mit entscheidend. Darauf ist zu antworten: Eine 1787 neu ansetzende Themenlinie darf sich durchaus älterer Textpassagen bedienen; diese müssen dann dort einsortiert werden, wo sie im Schriftzusammenhang der späteren Auflage (1787) tatsächlich zu stehen kommen. Nur wenn es Passagen sind, die in der späteren Auflage fehlen, müssten sie innerhalb einer 1787 neu ansetzenden Themenlinie dem Bereich der Vor-Untersuchungen oder Vorab-Erörterungen zugeordnet werden.
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„der Satz: eine jede Veränderung hat ihre Ursache [ist] ein Satz a priori, allein nicht rein, weil Veränderung ein Begriff ist, der nur aus der Erfahrung gezogen werden kann“ (Critik der reinen Vernunft B 3)
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als ein Beispiel für „nothwendige und im strengsten Sinne allgemeine, mithin reine Urtheile a priori im menschlichen Erkenntniß“ kann „der Satz, daß alle Veränderung eine Ursache haben müsse, [...]“ dienen (B 5)
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„Hier füge ich noch hinzu, daß der Begriff der Veränderung und mit ihm der Begriff der Bewegung (als Veränderung des Orts) nur durch und in der Zeitvorstellung möglich ist; daß, wenn diese Vorstellung nicht Anschauung (innere) a priori wäre, kein Begriff, welcher es auch sei, die Möglichkeit einer Veränderung, d. i. einer Verbindung contradictorisch entgegengesetzter Prädicate [...] in einem und demselben Objecte, begreiflich machen könnte. Nur in der Zeit können beide contradictorisch-entgegengesetzte Bestimmungen in einem Dinge, nämlich nach einander, anzutreffen sein“ (B 48 f.)
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alle Begriffe, die zur Sinnlichkeit gehören, selbst der Begriff der Bewegung, setzen etwas Empirisches voraus; das Bewegliche ist „ein empirisches Datum“. „Eben so kann die transscendentale Ästhetik nicht den Begriff der Veränderung unter ihre Data a priori zählen: denn die Zeit selbst verändert sich nicht, sondern etwas, das in der Zeit ist“ (A 41 B 58)
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den Prädicamenten der Modalität ist das Entstehen, Vergehen, die Veränderung unterzuordnen (A 82 B 108)
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Veränderung = „Folge der Bestimmungen in der Zeit“ (B 149)
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„Bewegung, als Handlung des Subjects, (nicht als Bestimmung des Objects*,) folglich die Synthesis des Mannigfaltigen im Raume, wenn wir von diesem abstrahiren und bloß auf die Handlung Acht haben, dadurch wir den inneren Sinn seiner Form nach bestimmen, bringt so gar den Begriff der Succession zuerst hervor“ – „*) Bewegung eines Objects im Raume gehört nicht in eine reine Wissenschaft [...], weil, daß Etwas beweglich sey, nicht a priori, sondern nur durch Erfahrung erkannt werden kann. Aber Bewegung, als Beschreibung eines Raumes, ist ein reiner Actus der successiven Synthesis des Mannigfaltigen in der äußeren Anschauung überhaupt durch productive Einbildungskraft, und gehört nicht allein zur Geometrie, sondern sogar zur Transscendentalphilosophie“ (B 154 f.)
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„die Causalität einer Veränderung überhaupt [liegt] ganz außerhalb den Grenzen einer Transscendental-Philosophie [...] und [setzt] empirische Principien voraus“ (A 171 B 212 f.)
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„Auf dieser Beharrlichkeit gründet sich nun auch die Berichtigung des Begriffs von Veränderung. Entstehen und Vergehen sind nicht Veränderungen desjenigen, was entsteht oder vergeht. Veränderung ist eine Art zu existiren, welche auf eine andere Art zu existiren eben desselben Gegenstandes erfolgt. Daher ist alles, was sich verändert, bleibend, und nur sein Zustand wechselt“ (A 187 B 230)
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„Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung“ (B 232)
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„Ich nehme wahr, daß Erscheinungen auf einander folgen, [...]. Ich verknüpfe also eigentlich zwei Wahrnehmungen in der Zeit. Nun ist Verknüpfung kein Werk des bloßen Sinnes und der Anschauung, sondern hier das Product eines synthetischen Vermögens der Einbildungskraft, die den inneren Sinn in Ansehung des Zeitverhältnisses bestimmt“ (B 233)
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„Der Begriff [...], der eine Nothwendigkeit der synthetischen Einheit bei sich führt, kann nur ein reiner Verstandesbegriff sein, der nicht in der Wahrnehmung liegt; und das ist hier der Begriff des Verhältnisses der Ursache und Wirkung [...]. Also ist nur dadurch, daß wir die Folge der Erscheinungen, mithin alle Veränderung dem Gesetze der Causalität unterwerfen, selbst Erfahrung, d. i. empirisches Erkenntniß von denselben, möglich; mithin sind sie selbst als Gegenstände der Erfahrung nur nach eben dem Gesetze möglich“ (B 234)
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a priori kann nicht erklärt werden, wie überhaupt Veränderung zustande kommt, dazu bräuchte man Kenntnis wirklicher, z. B. bewegender Kräfte. „Aber die Form einer jeden Veränderung, die Bedingung, unter welcher sie als ein Entstehen eines andern Zustandes allein vorgehen kann [...], mithin die Succession der Zustände selbst [...] kann doch nach dem Gesetze der Causalität und den Bedingungen der Zeit a priori erwogen werden“ (A 207 B 252)
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„Die Nothwendigkeit betrifft also nur die Verhältnisse der Erscheinungen nach dem dynamischen Gesetze der Causalität und die darauf sich gründende Möglichkeit, aus irgend einem gegebenen Daseyn (einer Ursache) a priori auf ein anderes Daseyn (der Wirkung) zu schließen“ (A 228 f. B 280)
- „Veränderung, als die dem Begriffe der Causalität correspondirende Anschauung“ (B 291)
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alle Veränderung setzt „etwas Beharrliches in der Anschauung“ voraus, „um auch selbst nur als Veränderung wahrgenommen zu werden“; im inneren Sinn wird „aber gar keine beharrliche Anschauung angetroffen“ (B 292)
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„Die Sinnenwelt, als das Ganze aller Erscheinungen, enthält zugleich eine Reihe von Veränderungen. Denn ohne diese würde selbst die Vorstellung der Zeitreihe als einer Bedingung der Möglichkeit der Sinnenwelt uns nicht gegeben seyn.“
[„*) Die Zeit geht zwar als formale Bedingung der Möglichkeit der Veränderungen vor diesen objectiv vorher; allein subjectiv und in der Wirklichkeit des Bewußtseyns ist diese Vorstellung doch nur, so wie jede andere durch Veranlassung der Wahrnehmungen gegeben.“]
„Eine jede Veränderung aber steht unter ihrer Bedingung, die der Zeit nach vorhergeht, und unter welcher sie nothwendig ist“ (A 452 B 480: 4. Widerstreit, Thesis)
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„Die Veränderung beweiset nur die empirische Zufälligkeit, d. i. daß der neue Zustand für sich selbst, ohne eine Ursache, die zur vorigen Zeit gehört, gar nicht hätte stattfinden können zu Folge dem Gesetze der Causalität“ (A 460 B 488)
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ERGEBNIS UND BEGRIFFLICHE PRÄZISIERUNG (TRANSCENDENTAL/METAPHYSISCH): „So ist das Princip der Erkenntniß der Körper als Substanzen und als veränderlicher Substanzen transscendental, wenn dadurch gesagt wird, daß ihre Veränderung eine Ursache haben müsse; es ist aber metaphysisch, wenn dadurch gesagt wird, ihre Veränderung müsse eine äußere Ursache haben: weil im ersteren Falle der Körper nur durch ontologische Prädicate (reine Verstandesbegriffe), z. B. als Substanz, gedacht werden darf, um den Satz a priori zu erkennen; im zweiten aber der empirische Begriff eines Körpers (als eines beweglichen Dinges im Raume) diesem Satz zum Grunde gelegt werden muß, alsdann aber, daß dem Körper das letztere Prädicat (der Bewegung nur durch äußere Ursache) zukomme, völlig a priori eingesehen werden kann.“ (Critik der Urtheilskraft, 5: 181)
Sätze, die der B-Auflage (1787) chronologisch vorangehen:
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„Alles, was geschieht (anhebt zu seyn) setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt“ (A 189)
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man meint (irriger Weise), Bewegung „gehe auch außer unseren Sinnen an sich wirklich“ vor (A 385); Körper wie auch Bewegung sind aber „nicht Etwas außer uns, sondern blos Vorstellungen in uns“ (A 387)
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„reine Mechanik kann ihre Begriffe von Bewegung nur vermittelst der Vorstellung der Zeit zu Stande bringen“ (Prolegomena, 4: 283)
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Bewegung eines Dinges ist Veränderung der äußeren Verhältnisse desselben zu einem gegebenen Raum (Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, 4: 482)
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im Raum ist Tätigkeit und Veränderung notwendigerweise als Bewegung zu denken: im Raume kann „keine Thätigkeit, keine Veränderung als blos Bewegung gedacht werden“ (MAN, 4: 524)
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„Zweites Gesetz der Mechanik. Alle Veränderung der Materie hat eine äußere Ursache. [...] Aus der allgemeinen Metaphysik wird der Satz zum Grunde gelegt, daß alle Veränderung eine Ursache habe; hier soll von der Materie nur bewiesen werden, daß ihre Veränderung jederzeit eine äußere Ursache haben müsse“ (MAN, 4: 543)